OLG Jena: Obhutspflichtverletzung wegen Aufnahme eines Weglaufgefährdeten in Kurzzeitpflegeeinrichtung
Auch Kurzzeitpflegeeinrichtungen haben anläßlich einer Aufnahme zu informieren, wenn sie sie eine erforderliche lückenlose Überwachung nicht gewährleisten können und müssen organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass demente Bewohner nicht unbemerkt weglaufen, wenn eine Weglauftendenz bei Aufnahme bekannt ist.
Urteil des OLG Jena vom 23.03.2011, Az.: 2U 567/10
In einem vom Thüringer Oberlandesgerichts entschiedenen Fall verließ eine demenzkranke, 73 Jahre alte Dame unbemerkt das Pflegeheim, in dem sie den dreiwöchigen Urlaub ihrer sie (sonst) betreuenden Tochter verbringen sollte. Ihr war es gelungen die Einrichtung bereits in den ersten Tagen ihres Aufenthalts mehrmals unbemerkt zu verlassen. Während man sie zunächst immer wieder auffinden konnte, blieb die Dame am dritten Tag verschwunden. Die Suche – auch der Polizeikräfte – verlief zunächst erfolglos. Erst drei Tage nach ihrem Verschwinden wurde die alte Dame unterkühlt und in einem schwer verwirrten, desorientierten Zustand auf einer Wiese liegend gefunden, wo sie gestürzt war und sich u. a. eine schwerwiegende Fraktur zugezogen hatte. Die Bewohnerin klagte daraufhin auf Schmerzensgeld und Ersatz sämtlicher aus dem Schadensereignis entstandener Schäden. Bereits beim Aufnahmegespräch hatte die Tochter, die auch Betreuerin ist, erwähnt, dass die Klägerin häufig allein ihre Wohnung verlassen habe, um zu ihrem Elternhaus zu gehen. Das Gericht sah dann auch eine fahrlässige Pflichtverletzung aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag auf Seiten der beklagten Tageseinrichtung. Aufgrund der Mitteilung der Tochter vor der Aufnahme und des Verhaltens der Klägerin in den Tagen vor dem Unfall sei eine Weglauftendenz der Klägerin bekannt gewesen. Dennoch hatte die Einrichtung es unterlassen die Tochter darüber zu informieren, dass sie eine lückenlose Überwachung der Klägerin nicht gewährleisten könne und keine organisatorischen Vorkehrungen getroffen hatte, die Klägerin am Verlassen der Einrichtung zu hindern. Die Tochter dagegen habe sich, so das Gericht, mangels Kenntnis darauf verlassen können, dass alle erforderlichen organisatorischen Maßnahmen zum Aufenthalt der Klägerin in der Einrichtung getroffen worden seien, weshalb ein Mitverschulden ihrer Person seitens des Gerichts verneint wurde. Die Beklagte wurde zur Zahlung eines Schmerzensgelds verurteilt und hat die Schäden, auszugleichen. Das Gericht ging dabei davon aus, dass die Klägerin zwar nicht sturzgefährdet war, der Bewies des ersten Anscheins aber dafür spräche, dass der Sturz auf das verwirrte Herumirren der Klägerin zurückzuführen sei.