OLG Hamm, Beschluss vom 07.10.1993, 15 W 168/93

Entscheidend ist, ob durch die getroffenen Maßnahmen der Betreute gegen seinen natürlichen Willen daran gehindert wird, seinen jeweiligen Aufenthaltsort zu verlassen. Bettgitter oder Bauchgurt können begrifflich nicht zu einer Freiheitsentziehung  führen, der sich aufgrund körperlicher Gebrechen ohnehin nicht mehr fortbewegen kann oder aufgrund geistigen Gebrechens zur Bildung eines natürlichen Willens im Hinblick auf eine Fortbewegung nicht mehr in der Lage ist.

Im Zweifel ist von der Fähigkeit des Betroffenen zu einer natürlichen Willensbildung auszugehen, solange nicht das Gegenteil zuverlässig festgestellt werden kann.

OLG Hamm, Beschluss vom 07.10.1993, 15 W 168/93

 

Materiell-rechtliche Grundlage der Entscheidung des Landgerichts ist die Vorschrift des § 1906 Abs. 4 BGB. Danach bedarf eine Maßnahme, durch die dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll, der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Voraussetzung für die vormundschaftsgerichtliche Entscheidung ist, daß sich Fixierungsmaßnahmen, wie das Anbringen eines Bettgitters oder eines Bauchgurtes, als freiheitsentziehend darstellen. Entscheidend dafür ist, ob durch die getroffenen Maßnahmen der Betreute gegen seinen natürlichen Willen daran gehindert wird, seinen jeweiligen Aufenthaltsort zu verlassen (Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drucksache 11/4528, S. 149; Bürgle, NJW 1988, 1881, 1885; Soergel/Damrau, BGB, 13. Aufl., § 1906 Rdn. 2; Dodegge, MDR 1992, 437, 438). Sicherungsmaßnahmen der hier in Rede stehenden Art können deshalb begrifflich nicht zu einer Freiheitsentziehung bei einem Betreuten führen, der sich aufgrund körperlicher Gebrechen ohnehin nicht mehr fortbewegen kann oder aufgrund geistigen Gebrechens zur Bildung eines natürlichen Willens im Hinblick auf eine Fortbewegung nicht mehr in der Lage ist. Maßnahmen der hier in Rede stehenden Art sind somit nicht allein deshalb genehmigungsbedürftig, weil sie der Sicherung des Betreuten vor Verletzungen dienen, die nur durch eine unwillkürliche Bewegung, wie etwa ein Herausfallen aus dem Bett im unruhigen Schlaf, oder ein durch körperliche Schwäche hervorgerufenes Herausrutschen aus einem Stuhl beruhen.

Das Landgericht hat im vorliegenden Fall in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Beteiligte zu 1) nach den Angaben des Pflegepersonals weder in der Lage sei zu laufen noch aufzustehen. Sie könne ihr Bett ebensowenig verlassen wie ihren Rollstuhl. Sie verhalte sich im Bett sehr unruhig, so daß die Gefahr bestehe, daß sie über die Bettkante gleite und dann aus dem Bett falle. Im Rollstuhl hätten Aufstehversuche angesichts ihres körperlichen Unvermögens zur Folge, daß sie vornüber hinausfalle oder rutsche. Ob die Beteiligte zu 1) überhaupt noch gesteuerte, d. h. von einem natürlichen Willen abhängige Bewegungen unternehme, sei zweifelhaft.

Auf der Grundlage dieser, von der sofortigen weiteren Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen hat das Landgericht die Genehmigungsbedürftigkeit der Maßnahme rechtsfehlerfrei verneint. Da die Beteiligte zu 1) kommunikationsunfähig ist, lassen sich nähere tatsächliche Feststellungen darüber, in welcher Hinsicht sie zu einer natürlichen Willensbildung im Hinblick auf eine Fortbewegung aus dem Bett oder dem Rollstuhl noch in der Lage ist, nicht treffen. In diesen Fällen entspricht es dem Sinn der durch das Betreuungsgesetz neu eingeführten Bestimmung des § 1906 Abs. 4 BGB, von der Fähigkeit des Betroffenen zu einer natürlichen Willensbildung im Hinblick auf die Fortbewegung solange auszugehen, wie das Gegenteil nicht zuverlässig festgestellt werden kann. Denn § 1906 Abs. 4 BGB soll dem Freiheitsgrundrecht des Art. 104 GG nunmehr ausdrücklich über die geschlossene Unterbringung hinaus auch für sonstige freiheitsentziehende Maßnahmen in einer pflegerischen Einrichtung Rechnung tragen; insoweit sollten die nach der bisherigen Gesetzeslage bestehenden Zweifel ausgeräumt werden (vgl. Regierungsentwurf a. a. O.). Sofern danach in tatsächlicher Hinsicht nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich für den Betroffenen die Sicherungsmaßnahme freiheitsentziehend auswirkt, muß von einem Grundrechtseingriff und der Erforderlichkeit der vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle ausgegangen werden (vgl. Senat, Beschluß vom 22.6.1993 15 W 145/93, DAVorm 1993, 855). Mithin kam es, wie das Landgericht richtig sieht, entscheidend darauf an, ob das der Beteiligten zu 1) aufgrund ihres Gesundheitszustandes noch verbleibende Bewegungspotential mag es auch nicht mehr von einem natürlichen Willen getragen sein durch die Fixierungsmaßnahmen beschränkt wird. Dies hat das Landgericht bei der annähernd bewegungsunfähigen Beteiligten zu 1), bei der letztlich nur ihre Unruhezustände zu den von dem Pflegepersonal beschriebenen Gefahrenlagen führen, rechtsfehlerfrei verneint.

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