OGH (Österreich), Beschluss vom 13.09.2006, 7Ob186/06p

Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist dann ausgeschlossen, wenn die Sedierung des Bewohners eine bloße Nebenwirkung des betreffenden Medikamentes darstellt. Ist das Medikament ein (reines) Sedativum, mit dem also unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdranges erreicht werden soll, kann von einer Nebenwirkung keine Rede sein.

 

OGH (Österreich), Beschluss vom 13.09.2006, 7Ob186/06p

 

Die  Betroffene  lebt in einem Pensionistenheim. Sie leidet an fortgeschrittener Altersdemenz. Ihre höheren kognitiven Leistungen sind hochgradig eingeschränkt und sie ist nicht mehr in der Lage, ihre Bedürfnisse im vollen Ausmaß zu artikulieren und durchzusetzen.

Bei Bedarf, etwa wenn sie versucht, eine zur Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr erforderliche PEG-Sonde zu entfernen, wird ihr – höchstens einmal im Monat – das sedierende Medikament Psychopax verabreicht.

Den Antrag der Bewohnervertreterin auf Überprüfung der Zulässigkeit der Verabreichung von Psychopax wies die Erstinstanz ab. Da Psychopax nur bei konkretem Bedarf und zu therapeutischen Zwecken verabreicht werde, stelle dies keine Freiheitsbeschränkung dar.

Die zweite Instanz bestätigte diese Entscheidung. Sie führte im Wesentlichen aus, dass zwar für Freiheitsbeschränkungen auch medikamentöse Mittel in Frage kämen. Von einer Freiheitsbeschränkung könne aber nicht bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen gesprochen werden, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele mitunter ergäben. Der behandelnde Arzt habe angegeben, dass Psychopax nur zu therapeutischen Zwecken verabreicht worden sei, um zu verhindern, dass die Bewohnerin im Wundbereich der PEG-Sonde „nestle“ und Infektionen an der Wundstelle einträten bzw um zu erreichen, dass die eingetretenen Infektionen im Bereich des Stomas schneller abheilten.

Auch aus der vorliegenden Dokumentation über die Gabe des Medikamentes Psychopax ergebe sich, dass mit diesem Medikament „keine unmittelbare Unterbindung des Bewegungsdranges“, sondern ein „anderes zeitlich begrenztes therapeutisches Ziel“, nämlich die rasche Heilung der infizierten Wunde verfolgt worden sei, um die künstliche Ernährung der Bewohnerin sicherstellen zu können. Gerade einen solchen Fall habe der Gesetzgeber nicht als Freiheitsbeschränkung bewerten wollen.

Eine Freiheitsbeschränkung nach § 3 HeimAufG durch die Gabe von Psychopax sei demnach zu verneinen.

 

Von einer Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel kann nur dann gesprochen werden, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdranges bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele mitunter ergeben können. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel nur dann von vornherein ausgeschlossen sein soll, wenn die Sedierung des Bewohners eine bloße Nebenwirkung des betreffenden Medikamentes darstellt. Ist das Medikament hingegen ein (reines) Sedativum, mit dem also unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdranges erreicht werden soll, kann von einer Nebenwirkung keine Rede sein (vgl auch Barth/Engel aaO § 3 Anm 7).

Ob nun Psychopax ein solches Sedativum darstellt oder etwa in erster Linie ein Wundheilmittel ist, lässt sich auf Grund der Feststellungen der Vorinstanzen allerdings nicht verlässlich beurteilen. Zwar spricht nach dem Akteninhalt vieles dafür, dass Psychopax vor allem die Unterbindung des Bewegungsdranges des Patienten bezweckt; letztlich ist diese Frage aber unerörtert geblieben und kann vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht geklärt werden.

Zur demnach – auch nachträglich – erforderlichen Überprüfung der Medikation mit Psychopax wird das Erstgericht daher durch entsprechende Verbreiterung der Sachverhaltsbasis im aufgezeigten Sinn – therapeutischer Anwendungsbereich, Zusammensetzng (Wirkstoffkomponenten) und Wirkungsweise des Medikaments – zu klären haben, damit beurteilt werden kann, ob die Gabe von Psychopax eine (mangels Verständigung der Bewohnervertreterin gemäß § 7 Abs 2 HeimAufG unzulässige) freiheitsbeschränkende Maßnahme war oder nicht.

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