Das Wohnen in einer behindertengerechten Einrichtung und Nutzung des in diesem Haus vorhandenen ambulanten Pflegedienst für den Pflegebedarf erfüllt nicht dier Voraussetzungen einer teilstationären oder vollstationären Pflegeeinrichtung.
Eine Pflegekasse hat eine bei ihr versicherte pflegebedürftige Person gemäß §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 1 SGB XI mit einem höhenverstellbaren Pflegebett zu versorgen, wenn damit eine auch nur geringe Teilmobilität erreicht wird. Der Hinweis der Pflegekasse auf ein erhöhtes Sturzrisiko ist dann unbeachtlich, wenn das Risiko auch bei dem zuvor zur Verfügung gestellten höheren Standardpflegebett objektiv bestanden hat.
LSG für das Saarland, Urteil vom 28. April 2009 , Az. L 2 P 4/08
Die Beklagte wurde verurteilt, die Klägerin mit einem höhenverstellbaren Pflegebett mit einer absenkbaren Liegehöhe bis 22 cm zu versorgen.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin von der Beklagten eine Sonderanfertigung eines Pflegebettes beanspruchen kann.
Die 1971 geborene Klägerin leidet von Geburt an an einer infantilen zerebralen Parese, einer spastischen Tetraplegie sowie einer psychischen Verlangsamung. Sie erhält Leistungen aus der Pflegeversicherung der Pflegestufe II und wohnt in einem behindertengerechten Einzimmer-Appartement in einem Haus des Paritätischen Wohlfahrtverbandes mit Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes.
Sie ist Rollstuhlfahrerin und ihr linker Arm und das rechte Bein sind besonders beeinträchtigt.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Versorgung mit einem Pflegebett mit einer Liegehöhe von 22 cm bis 62 cm. Im jetzigen, höheren Standardpflegebett schaffe sie es nicht, alleine den Transfer auf die Toilette zurückzulegen.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Pflegehilfsmittel.
Zunächst stellt der Senat klar, dass die auch vom SG erwähnten Rechtsgrundlagen der §§ 40, 29 SGB XI auf die Situation der Klägerin Anwendung finden. Die Klägerin lebt nämlich nicht in einer stationären Pflegeeinrichtung, für die § 40 SGB XI, welcher nach der Titelüberschrift vor § 36 SGB XI nur für häusliche Pflege gilt, nicht eingreift. Vielmehr wohnt sie in einer behindertengerechten Einrichtung und nutzt den in diesem Haus vorhandenen ambulanten Pflegedienst für ihren Pflegebedarf. Damit lebt die Klägerin nicht in einer teilstationären oder vollstationären Pflegeeinrichtung.
Ein Anspruch auf das Pflegehilfsmittel eines höhenverstellbaren Pflegebettes besteht, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 SGB XI gegeben sind. ….
Aber das Merkmal der Ermöglichung einer selbstständigeren Lebensführung, auf das sich die Klägerin beruft, gibt ihr einen solchen Anspruch. Mit der Klägerin und den beiden gerichtlichen Sachverständigen ist der Senat der Überzeugung, dass ein niedrigeres Pflegebett Voraussetzung dafür wäre, dass sie eine gewisse Teilmobilität erhält. Die Versorgung muss zudem nach § 40 Abs. 1 S. 2 SGB XI notwendig sein, was auch bedeutet, dass das Hilfsmittel in der Gesamtsituation geeignet ist, die Selbstständigkeit zu fördern.
Das jetzige Pflegebett ist 52 cm hoch (minimale Höhe, vom Gutachter gemessen: 49 cm) und sie brauche eines, welches höchstens 22 cm hoch sei.
Mit ihren Ausführungen beschreiben die beiden Gutachter den Konflikt in der Anwendung des § 40 Abs. 1 S. 1 SGB XI: einerseits ist das höhere Pflegebett, welches die Klägerin nunmehr nutzt, für die Erleichterung der Pflege erforderlich.
Andererseits strebt die motivierte Klägerin eine selbstständigere Lebensführung an, was sie als Ziel aber nach den Angaben der Gutachter mit dem beantragten, niedrigeren Pflegebett nur unter Inkaufnahme des Sturzrisikos erreichen kann. Nachvollziehbar ist daher der Schluss der Gutachter, dass die Klägerin derzeit nach wie vor und unabhängig von der Höhe des Pflegebettes bei solchen Transfers eine Pflegeperson hinzuziehen sollte, um das Risiko eines Sturzes mit Gefährdung der Gesundheit zu vermeiden.
Die nach § 40 Abs. 1 S. 2 SGB XI erforderliche Notwendigkeit einer solchen Versorgung wird alleine durch diese Argumentation aber nicht ausgeschlossen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass diese Sturzgefahr auch und gerade in der jetzigen Wohnsituation der Klägerin besteht. Wenn sie sich aus dem vorhandenen Standardpflegebett in den Rollstuhl begeben will, besteht diese Gefahr in gleichem, wenn nicht gar in höherem Maße. Mit der Anschaffung eines höhenverstellbaren Bettes wird die jetzige Situation objektiv betrachtet nicht verschlechtert. Die Pflegesituation bleibt gleich, denn das von der Klägerin beantragte höhenverstellbare Bett kann auf die optimale Pflegehöhe eingestellt werden. Die individuelle Situation der Klägerin wird aber zudem verbessert, denn sie ist dann in der Lage, das Bett auf eine Höhe herunter zu fahren, die es ihr erlaubt, mit den Füßen den Boden zu erreichen.
Der Senat verkennt nicht, dass gerade bei dem eigenständigen Transfer vom Bett in den Rollstuhl eine Sturzgefahr besteht, die sich auch in der Vergangenheit schon realisiert hatte. Nur ist diese Situation noch drastischer, wenn die Klägerin versucht, aus ihrem nunmehr vorhandenen hohen Bett in den Rollstuhl zu gelangen, denn sie kann bei diesem Bett in sitzender Stellung mit den Füßen den Boden nicht erreichen, was eine Erhöhung der Gefährdung bedeutet.
Der Grund für die Beklagte, dieses höhenverstellbare Pflegebett zu versagen, ist zwar mit der Absicht, die Gefährdung nicht zu erhöhen, ein nachvollziehbarer. Die Beklagte erreicht dieses Ziel aber derzeit auch nur dadurch, dass sie auf die Vernunft und Einsicht der Klägerin vertraut, dass sie einen solchen Transfer ohne Hilfe aus dem höheren Bett nicht versucht und dass die Höhe des Pflegebetts die Klägerin hiervon abhält. Der Senat hat aber sowohl nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung als auch nach Lektüre der Gutachten keinerlei Zweifel daran, dass die Klägerin mit Vernunft und Bedacht ihre wohnliche Situation bei ihren eigenen Entscheidungen berücksichtigt, ob sie einen Transfer wagt oder nicht. Im Übrigen darf nicht außer acht bleiben, dass nach Gutachtenlage auch bislang die Klägerin bei einem Toilettengang und einem dortigen Transfer vom Rollstuhl auf die Toilette und zurück keine Hilfe hatte und keiner Hilfe bedurfte. Warum die Pflegesituation für die Klägerin dann schlechter und gefährlicher werden soll, wenn sie mit einem höhenverstellbaren Pflegebett versorgt wird, ist nicht erkennbar.
Der Senat sieht daher das Merkmal der Ermöglichung einer selbstständigeren Lebensführung in § 40 Abs. 1 S. 1 SGB XI durch die Versorgung mit einem wegen verbesserter Mobilität notwendigen höheren verstellbaren Pflegebett als erfüllt an. Die Gefährdungssituation ändert sich hierbei nicht zu ihren Ungunsten und es ist zudem rechtlich zu berücksichtigen, dass die Intention des Gesetzgebers im SGB XI dahin geht, den Versicherten trotz des Hilfebedarfs ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen zu lassen (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB XI).
Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen wieder zu gewinnen und zu erhalten. Unter dieser in § 2 Abs. 1 S. 2 SGB XI genannten Zielvorgabe ist die von der Klägerin beantragte Versorgung notwendig, denn die durch diese Versorgung ermöglichte Mobilität, wenn auch zunächst nur in einem geringeren Umfang und an Tagen, an denen die Klägerin körperlich hierzu in der Lage ist, mag für nichtbehinderte Personen gering sein, für die Klägerin ist dies sowohl nach den Gutachten als auch nach dem persönlichen Eindruck durch den Senat ein erheblicher Schritt in Richtung auf ein selbstbestimmtes Leben im Rahmen ihrer eingeschränkten Möglichkeiten.