Genehmigungsbedürftigkeit eines Überwachungssystems, das gewährleisten soll, die Betroffene ausnahmslos am unbeaufsichtigten Verlassen des Heims zu hindern.
LG Ulm, Beschluss vom 25.6.2008, 3 T 54/08
Das in dem ansonsten offen geführten Altenzentrum in Einzelfällen eingesetzte Desorientiertenüberwachungssystem funktioniert wie folgt: Der Heimbewohner wird mit einem Funkchip am Handgelenk, der einer Armbanduhr ähnelt, ausgestattet. Verlässt der Bewohner das Haus durch eine der beiden Türen, löst dies ein Signal auf dem Diensthandy des Pflegepersonals der Station, zu der der Bewohner gehört, aus. Das Pflegepersonal begibt sich sodann auf die Suche nach dem Bewohner und bewegt den Bewohner zur Rückkehr.
Durch eine der beiden Türen ist auch in der Nacht das uneingeschränkte Verlassen des Heims möglich.
Das Amtsgericht hat zunächst zutreffend festgestellt, dass der Einsatz des Desorientiertenüberwachungssystems in dem Altenheim nicht gegen Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes verstößt. Für die Kammer steht auch außer Zweifel, dass der Einsatz dieses Systems bei der Betroffenen erforderlich und die Handhabung durch das Personal im Altenzentrum allein von der Fürsorge für ihr persönliches Wohlergehen getragen ist. Gleichwohl handelt es sich nach Auffassung der Kammer vorliegend um eine genehmigungsbedürftige Maßnahme im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB.
Die vom Amtsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen dem Anbringen des Funkchips am Handgelenk der Betroffenen einerseits und der Reaktion des Personals auf das Verlassen der Einrichtung durch die Betroffene andererseits, lässt im vorliegenden Fall außer Betracht, dass die Betroffene nach dem ärztlichen Zeugnis ….. , dauerhaft, örtlich und zeitlich nicht mehr orientiert ist und nach einem Verlassen des Heims nicht selbständig zurückfinden würde. Damit in Einklang stehen die nachvollziehbaren Angaben der Bevollmächtigten sowie der Mitarbeiter des Altenzentrums, dass der Betroffenen ein Verlassen des Hauses ohne Begleitung nicht mehr möglich sei. Der am Handgelenk der Betroffenen angebrachte Funkchip ist damit Teil eines Systems, das gewährleisten soll, die Betroffene ausnahmslos am unbeaufsichtigten Verlassen des Heims zu hindern. Die im Beschluss des Amtsgerichts dargestellten Alternativen beim Verlassen des Hauses durch die Betroffene bestehen daher für das Pflegepersonal nicht. In jedem Einzelfall stellt sich lediglich die Frage, ob die Betroffene allein durch eine entsprechende Bitte oder durch Überredung zur Rückkehr bewegt werden kann oder ob ein darüber hinausgehender Zwang erforderlich ist, der auch dann von § 1906 Abs. 4 BGB erfasst wird, wenn er keine körperliche Gewalt gegen die Betroffene erfordert (OLG Hamm vom 08.01.1997, 15 W 398/96, BtPrax 1997, 162). Kann letzteres nicht gänzlich ausgeschlossen werden, handelt es sich beim Anbringen des Funkchips und der dem Pflegepersonal vorgegebenen Reaktion auf das Verlassen des Heims durch den Bewohner um eine Maßnahme, die als Ganzes darauf ausgerichtet ist, die Betroffene über einen längeren Zeitraum die Freiheit zu entziehen (so im Ergebnis auch OLG Brandenburg vom 19.01.2006, 11 Wx 59/05, FamRZ 2006, 1481, wonach bei einem Personenortungssystem, das darauf gerichtet ist, notfalls durch Zwang am Verlassen des Hauses zu hindern, jedenfalls die möglicherweise erforderlich werdenden Zwangsmaßnahmen einer vorherigen vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zu unterstellen sind; vgl. ferner Schwab in Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2002, § 1906 Rn 34 und OLG Hamm vom 22.06.1993, 15 W 145/93, BtPrax 1993, 172 zum Anbringen eines Bettgitters und Bauchgurtes im Rollstuhl).
Die Anhörung des Geschäftsführers und der Mitarbeiter des Altenzentrums hat zwar ergeben, dass es bei der Betroffenen bislang stets ausreichend war, sie um die Rückkehr in das Haus zu bitten. Dazu trägt jedoch auch entscheidend bei, dass das Signal beim Verlassen des Heims beim Pflegepersonal auf der Station der Betroffenen und damit einer ihr im Regelfall vertrauten Person ausgelöst wird. Beim Auftreten von Personalengpässen, etwa bedingt durch Urlaub, Krankheit, Bindung des Personals durch andere Bewohner oder einem Versuch der Betroffenen, das Heim zur Nachtzeit zu verlassen, kann dies jedoch nicht lückenlos gewährleistet werden. Da der häufige Drang der Betroffenen, das Heim zu verlassen, nach Angaben der Mitarbeiter des Heims fünf- bis sechsmal am Tag, nicht auf rationale Überlegungen bei der Betroffenen zurückzuführen ist, kann zudem nicht mit der hierfür erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden, dass die Betroffene ihr Ziel mit einem Nachdruck verfolgt, dessen Überwindung mehr erfordert als das bereits genannte Bitten oder Überreden.