Bärbel Schönhof ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht und stellvertretende Vorsitzende der deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. Sie trug am 19.7.2016 unter dem Titel: „Freiheit – Der Mensch muss nicht tun, was er nicht will“ auf dem Symposium des Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW folgendes vor:
Meine Mutter erkrankte mit 48 Jahren sehr früh an einer Alzheimer Demenz. Sie war bis zwei Monate vor ihrem Tod mit 63 Jahren körperlich fit und agil. Und sie ging oft „spazieren“, so dass meine Familie sie ebenso oft suchen musste. Sie lief in unbeobachteten Momenten einfach los, ohne Rücksicht auf den Straßenverkehr oder Blick darauf, dass sie den Weg zurück schon lange nicht mehr finden konnte. Die Schreckensmomente, die uns ereilten, wenn sie mal wieder „weg war“, bekam sie nicht mit. In diesen Momenten dachten wir auch über „freiheitsentziehende Maßnahmen“ nach, erinnerten uns daran, dass der Hausarzt uns „etwas dagegen verschreiben“ wollte. Wir entschieden uns bewusst gegen solche Maßnahmen, trotz der Angst, die wir hatten, trotz des Alarmzustandes, in dem wir uns regelmäßig befanden.
Und es war gut so. So konnten wir die Mobilität meiner Mutter über fast 15 Jahre aufrechterhalten. Sie konnte weiterhin am Leben teilhaben. Aber wir wären sehr froh gewesen, wenn die Technik vor 20 Jahren schon so weit entwickelt gewesen wäre, um ein Personenortungssystem nutzen zu können, damit sie schneller hätte wieder gefunden werden können. Nicht immer gelingt es, einen solchen Spagat so zu lösen. Demenz fordert uns alle heraus: Fordert unsere Kreativität, unseren Einfallsreichtum, aber auch unser Wissen, unsere Geduld. Es gilt, Lösungen zu finden, die es Menschen mit Demenz ermöglichen, am Leben teilzuhaben, und sich als wertvoll zu erleben. Wir brauchen Anregungen und Erkenntnisse, die die Würde der Menschen mit Demenz wahren, ihnen eine Teilhabe am Leben zu ermöglichen, aber auch die Pflegenden mit ihren Sorgen und Nöten nicht zu vergessen.
Die Freiheit der Person ist neben der Menschenwürde eins der höchsten Güter des Menschen. Wenden wir freiheitsentziehende Maßnahmen bei Menschen mit Demenz an, sollten wir uns bewusst sein, welch schwerwiegender Eingriff diese Maßnahmen in das so elementare Recht der Freiheit und Autonomie des Menschen darstellt, auch wenn wir dies für nötig erachten, um des Schutzes eben dieses Menschen Willen. Die Sorge um das Wohlergehen eines Menschen mit Demenz oder der Schutz der Pflegenden etwa vor aggressiven Ausbrüchen der Erkrankten stehen diesem elementaren Recht oft konträr gegenüber. Hier eine menschenwürdige Basis für alle Beteiligten zu finden, ist eine tägliche Herausforderung. Denn, wo die Würde des einen verletzt wird, endet auch die Freiheit des anderen. Das gilt für die Menschen mit Demenz ebenso wie für die Pflegenden.
Den entsprechenden Auszug aus dem Newsletter mit freundlicher Genehmigung der Alzheimer Gesellschaften finden Sie unter:
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