BVerfG, Beschluss vom 11.07.2013, 2 BvR 1279 / 12,2 BvR 2302 / 11

Verfassungsmäßigkeit des Therapieunterbringungsgesetzes

BVerfG, Beschluss vom 11.07.2013, 2 BvR 1279 / 12,2 BvR 2302 / 11

 

Den Ausgangsverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beschwerdeführer hat seit seinem 20. Lebensjahr, vorwiegend unter Alkoholeinfluss stehend, mehrfach Gewaltdelikte – meist mit Sexualbezug – begangen. Im Jahr 1970 wurde er unter anderem wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Im Zustand erheblicher Alkoholisierung zwang er ein 16-jähriges Mädchen zum Geschlechtsverkehr und erwürgte es dabei (LG Saarbrücken, Urteil vom 11. Dezember 1970 – 27/70 -).

Wenige Wochen nach seiner Haftentlassung im Jahre 1979 drängte er die ihm bis dahin unbekannte Nachbarin seiner Schwester, die er bei einem Besuch im Treppenhaus getroffen hatte, in deren Wohnung, wo er sie im Anschluss an die Frage, warum sie keine Kinder habe und ob sie die Pille nehme, und den sich daraus entwickelnden Streit würgte, bis das Tatopfer sich befreien konnte. Aufgrund dieser Tat verurteilte ihn das Landgericht im Mai 1980 wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Freiheitsstrafe (LG Saarbrücken, Urteil vom 9. Mai 1980 – 4 – 4/80 -).

Im Februar 1988 überfiel er eine Frau, die er erst kurz zuvor kennengelernt hatte, indem er ihr an den Hals griff, sie würgte, in ein Waldgelände zerrte, trotz ihrer Gegenwehr entkleidete, auf sie einschlug und schließlich in unbekleidetem Zustand auf dem Waldboden zurückließ, ohne dass es noch zu dem von ihm zunächst beabsichtigten Geschlechtsverkehr gekommen war. Der Beschwerdeführer ließ die Geschädigte trotz Außentemperaturen von null Grad unbekleidet auf dem Waldboden zurück, wo sie über eine Stunde später von einer Passantin entdeckt wurde. Aufgrund seiner akuten Alkoholisierung bei der Tat und einer durch jahrelangen Alkoholmissbrauch eingetretenen Persönlichkeitsstörung hielt das Landgericht eine Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB nicht für ausschließbar und verurteilte den Beschwerdeführer wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten; zugleich ordnete es gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an (LG Saarbrücken, Urteil vom 28. September 1989 – 1 – 2/89 -).

Nach Entweichung aus dem Landeskrankenhaus im Jahre 1990 – nur etwa vier Monate nach dem Beginn der Unterbringung – griff er in alkoholisiertem Zustand im Zimmer eines Bordells eine Prostituierte von hinten an, hielt ihr den Mund zu und würgte sie. Vom Kampfgeschehen aufmerksam geworden, löste eine andere Prostituierte Alarm aus. Wegen wiederum nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit ordnete das Landgericht wegen dieser Tat erneut seine Unterbringung gemäß § 63 StGB an (LG Trier, Urteil vom 28. Februar 1991 – 2 Js 2399/90 – 5 KLs -).

In der Folgezeit befand sich der Beschwerdeführer – abgesehen von mehreren vorübergehenden Entweichungen – bis zum 23. Dezember 2005 im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus.

  1. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte das Landgericht die beiden Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt, weil der Beschwerdeführer zwar noch gefährlich, aber nicht mehr erheblich in seiner Schuldfähigkeit beeinträchtigt sei (LG Saarbrücken, Beschluss vom 28. November 2005 – I StVK 709/05, 963/05 -). Ab dem 23. Dezember 2005 wurde der Beschwerdeführer zur Vollstreckung der noch ausstehenden Reststrafe in Strafhaft umgesetzt, deren Strafende auf den 22. Juni 2007 notiert war.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Landgericht vor vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe mit Urteil vom 4. April 2007 die nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB in der bis zum 17. April 2007 geltenden Fassung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) an (LG Saarbrücken, Urteil vom 4. April 2007 – 14 AR 26/06 -). Gegen den Beschwerdeführer erging in der Folge am 15. Juni 2007 ein Unterbringungsbefehl gemäß § 275a Abs. 5 StPO in der Fassung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838; im Folgenden: StPO a.F.), aufgrund dessen er während des weiteren Verfahrens einstweilen untergebracht blieb (LG Saarbrücken, Unterbringungsbefehl vom 15. Juni 2007 – 14 AR 24/06 -).

 

Auf die Revision des Beschwerdeführers hob der Bundesgerichtshof am 10. Februar 2009 das Urteil des Landgerichts vom 4. April 2007 auf und verwies die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts zurück (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 4 StR 391/07 -, juris).

Mit Urteil vom 17. Juli 2009 ordnete das Landgericht erneut die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den Beschwerdeführer an (LG Saarbrücken, Urteil vom 17. Juli 2009 – 2 Ks 2/09 -). Die hiergegen gerichtete Revision hatte wiederum Erfolg: Mit Beschluss vom 12. Mai 2010 hob der Bundesgerichtshof, obschon das Landgericht die Voraussetzungen nach § 66b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht habe, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch dieses Urteil auf, wies den Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung zurück und ordnete die sofortige Freilassung des Beschwerdeführers an, die noch am selben Tag erfolgte (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 -, juris.).

Im Rahmen der auf fünf Jahre festgelegten Führungsaufsicht wurden dem Beschwerdeführer gerichtlich verschiedene Auflagen und Weisungen erteilt. Nach seiner Entlassung unterlag er polizeilicher Begleitung und Überwachung.

 

Am 12. Juli 2011 beantragte die Stadt Saarbrücken die Unterbringung des Beschwerdeführers nach dem Therapieunterbringungsgesetz und begehrte zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Unterbringung des Beschwerdeführers für die Dauer von drei Monaten.

Mit dem im Verfahren 2 BvR 2302/11 angegriffenen Beschluss vom 2. September 2011 ordnete das Landgericht die vorläufige Therapieunterbringung des Beschwerdeführers für die Dauer von drei Monaten an (LG Saarbrücken, Beschluss vom 2. September 2011 – 5 O 59/11 -). Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 30. September 2011 als unbegründet zurück (Saarländisches OLG, Beschluss vom 30. September 2011 – 5 W 212/11-94 -).

Das Landgericht verlängerte die vorläufige Unterbringung bis längstens 29. Februar 2012.

Das Verfahren 2 BvR 1279/12 betreffend ordnete das Landgericht in der Hauptsacheentscheidung mit Beschluss vom 17. Februar 2012 die Unterbringung des Beschwerdeführers bis zum 1. März 2013 an (LG Saarbrücken, Beschluss vom 17. Februar 2012 – 5 O 59/11 -). Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 14. Mai 2012 zurück (Saarländisches OLG, Beschluss vom 14. Mai 2012 – 5 W 44/12-22 -).

Im weiteren – hier nicht gegenständlichen – Therapieunterbringungsverfahren beantragte der Beschwerdeführer im September 2012 unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 – V ZB 106/12 -, juris) die Aufhebung der Therapieunterbringung mit sofortiger Wirkung.

III.

 

Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Insbesondere steht der Zulässigkeit der isolierten Verfassungsbeschwerde gegen die vorläufige Unterbringung im Verfahren 2 BvR 2302/11 nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen (1.). In beiden Verfahren besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers ungeachtet dessen fort, dass die angegriffenen Entscheidungen selbst nicht mehr die Grundlage für den weiteren Vollzug der Therapieunterbringung bilden (2.).

Bei verfassungskonformer Auslegung ist die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar.

 

 

  1. a) Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung von § 1 Abs. 1 ThUG ist Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 72, 200 <242>; 128, 326 <390>). Sie ziehen der gesetzgeberischen Regelungsbefugnis Grenzen bei der Verwirklichung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl (vgl. BVerfGE 14, 288 <300>; 25, 142 <154>; 43, 242 <286>; 43, 291 <391>; 75, 246 <280>; 109, 133 <182>; 128, 326 <390>). Dabei erhöht sich die Bedeutung der berührten Vertrauensschutzbelange in Abhängigkeit von der Schwere des Eingriffs in das sachlich berührte Grundrecht (vgl. bereits BVerfGE 109, 133 <186 f.>; 128, 326 <390>).

Da das Therapieunterbringungsgesetz zur Anordnung einer potenziell unbefristeten Freiheitsentziehung ermächtigt, begründet die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG auch bei Wahrung des hinsichtlich der Vollzugsbedingungen gebotenen Abstandes zur Strafhaft einen der schwersten Eingriffe in das sachlich berührte Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und damit in ein Recht, dem unter den grundrechtlich verbürgten Rechten bereits für sich genommen besonderes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 128, 326 <390>).

  1. b) Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Wertungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vgl. BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; 128, 326 <366 ff.>; 131, 268 <295 ff.>), die mit Art. 5 und Art. 7 Abs. 1 EMRK der nachträglichen Anordnung oder Verlängerung einer präventiven freiheitsentziehenden Maßnahme Grenzen setzt (vgl. dazu BVerfGE 128, 326 <391 ff.>, m.w.N.), ist der mit der Therapieunterbringung verbundene und durch Vertrauensschutzbelange verstärkte Eingriff in das Freiheitsgrundrecht nur verhältnismäßig, wenn der gebotene Abstand zur Strafe gewahrt wird, eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfüllt sind (vgl. zur Sicherungsverwahrung BVerfGE 128, 326 <399>; 129, 37 <46 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Februar 2013 – 2 BvR 2122/11 u.a. -, juris, Rn. 27).
  2. Nach den zum Recht der Sicherungsverwahrung entwickelten Maßstäben, die auch auf die Therapieunterbringung als nachträgliche freiheitsentziehende Maßnahme anzuwenden sind (a), ist die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar. Dabei genügt die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG vorgesehene Gefahrenprognose verfassungsrechtlichen Anforderungen nur, wenn das Vorliegen einer hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten festgestellt werden kann. Dem kann im Wege verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift Rechnung getragen werden (b). § 2 ThUG berücksichtigt die Wertungen des Art. 7 Abs. 1 EMRK und formuliert den gebotenen Abstand zur Vollstreckung der Strafhaft (c). Der Begriff der „psychischen Störung“ im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des den Vertragsstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraums mit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK vereinbar (d).

 

  1. a) Die Therapieunterbringung ist eine nachträglich angeordnete freiheitsentziehende Maßnahme, die hinsichtlich der Eingriffsintensität der Sicherungsverwahrung entspricht.

Zwar ist der Normzweck zukunftsgerichtet, weil das Therapieunterbringungsgesetz das Ziel verfolgt, basierend auf einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose die Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter zu schützen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53). Dies hebt den Vergangenheitsbezug und den dadurch begründeten Vertrauensschutz jedoch nicht auf (vgl. BVerfGE 109, 133 <184>, zur Sicherungsverwahrung). Allerdings bestimmt § 1 Abs. 1 ThUG keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte“ Rückwirkung). Er beschränkt das Vertrauen der Betroffenen lediglich in Gestalt einer tatbestandlichen Rückanknüpfung („unechte Rückwirkung“; zur Terminologie vgl. BVerfGE 127, 1 <16 f.>; auch 131, 20 <36 f.>), weil die belastende Rechtsfolge der Unterbringung zwar erst nach Verkündung des Gesetzes eingreift, jedoch tatbestandlich von einem rechtserheblichen Verhalten vor seiner Verkündung ausgelöst wird.

 

Die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG ermöglicht eine potenziell unbefristete Freiheitsentziehung, die hinsichtlich der Entziehung der äußeren Freiheit mit einer Freiheitsstrafe wie auch mit der Sicherungsverwahrung vergleichbar ist. Soweit die Gesetzesbegründung darauf abstellt, die „Therapieunterbringung [unterscheide sich] fundamental von Strafe, aber auch von der Sicherungsverwahrung“ (BTDrucks 17/3403, S. 20 f.), bezieht sich dies erkennbar auf die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten strafähnlichen Vollzugsbedingungen der Sicherungsverwahrung (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 127 ff.). Ein fundamentaler Unterschied zwischen der Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz und der Sicherungsverwahrung bei Beachtung des verfassungsrechtlich gebotenen Abstands zur Strafhaft besteht indes nicht.

 

Die Eingriffsintensität unterscheidet sich nicht deshalb von derjenigen der Sicherungsverwahrung, weil in § 2 ThUG die Unterbringung in einer geeigneten Therapieeinrichtung und ein freiheitsorientiertes Therapiekonzept vorgeschrieben wird. Denn auch in der Sicherungsverwahrung sind – unabhängig von den in der Vergangenheit festgestellten Defiziten in der gesetzlichen Konzeption (vgl. BVerfGE 128, 326 <382 ff.>) und im tatsächlichen Vollzug (vgl. BVerfGE 128, 326 <384 ff.>; auch EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 127 ff.) – angesichts der unterschiedlichen Zielsetzung und sachlichen Rechtfertigung der dem Schuldausgleich dienenden Strafhaft einerseits und des schuldunabhängigen präventiven Freiheitsentzugs der Sicherungsverwahrung andererseits (vgl. BVerfGE 128, 326 <376 f.>) Anforderungen an die Ausgestaltung ihres Vollzugs zu beachten („Abstandsgebot“, vgl. BVerfGE 128, 326 <374 ff.>). Danach ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – in deutlichem Abstand zum Strafvollzug – freiheitsorientiert mit klarer therapeutischer Ausrichtung auszugestalten, um die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr zu minimieren und auf diese Weise die Dauer der Freiheitsentziehung auf das unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren (BVerfGE 128, 326 <374 f.>). Ausgehend von den danach weiter konkretisierten Anforderungen an ein freiheitsorientiertes Gesamtkonzept im Vollzug der Sicherungsverwahrung (vgl. BVerfGE 128, 326 <378 ff.>) gibt es keine durchgreifenden Gründe, die im Vergleich dazu die Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung im Sinne des § 2 ThUG als weniger intensiven Eingriff in das Freiheitsgrundrecht erscheinen lassen.

  1. b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es unter Berücksichtigung der konventionsrechtlichen Vorgaben, bei der Entscheidung über die Therapieunterbringung vor allem, den Vertrauensschutz des Betroffenen im Rahmen der Abwägung mit dem gebotenen Gewicht einzustellen und eine Unterbringung nur dann anzuordnen, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.

Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG sieht zwar keine derart einzugrenzende Gefahrenprognose vor, sondern verlangt lediglich, dass eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit, des Vorlebens und der Lebensverhältnisse ergibt, dass der Betroffene mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird. Allerdings ist das Therapieunterbringungsgesetz einer verfassungskonform einengenden Auslegung zugänglich.

  1. aa) Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (vgl. BVerfGE 119, 247 <274>; stRspr). Eine Norm ist daher nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat (vgl. BVerfGE 86, 288 <320>). Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfGE 110, 226 <267>, m.w.N.).
  2. bb) Nach diesen Maßstäben ist eine verfassungskonforme – restriktive – Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG dahingehend möglich, dass hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose eine Unterbringung nur dann erfolgt, wenn eine hochgradige Gefahr für die Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.

(1) Der Wortlaut der Vorschrift steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. § 1 Abs. 1 ThUG verlangt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigt wird. Ob zwischen der Formulierung „hohe Wahrscheinlichkeit“ und „hochgradige Gefahr“ überhaupt qualitative Unterschiede bestehen, bedarf keiner Entscheidung, weil eine erforderliche Begrenzung auf den Maßstab der „hochgradigen Gefahr“ jedenfalls vom Wortlaut der Norm gedeckt ist. Auch soweit § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG eine „erhebliche“ Beeinträchtigung der in der Vorschrift genannten Rechtsgüter verlangt, schließt dies eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift im dargestellten Sinn nicht aus. Da in den Fällen schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG genannten Rechtsgüter immer in erheblichem Maße betroffen sind, sind diese Fälle vom Willen des Gesetzgebers unzweifelhaft mit umfasst.

(2) Der Gesetzeszweck steht einer solchen verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Nach der Gesetzesbegründung ist Ziel der Therapieunterbringung „ein möglichst nachhaltiger Schutz der Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter“ (BTDrucks 17/3403, S. 53). Gleichzeitig akzeptiert die Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber in einem „schmalen Bereich [agiert], der sowohl durch die Anknüpfung an Straftaten als auch durch präventive Ziele geprägt ist und in dem zugleich sowohl das Grundgesetz als auch die EMRK enge Vorgaben machen“ (BTDrucks 17/3403, S. 19). Erkennt der Gesetzgeber danach ausdrücklich die verfassungs- und konventionsrechtlichen Grenzen seiner Zielsetzung an, läuft es dem Gesetzeszweck nicht zuwider, wenn im Wege der verfassungskonformen Auslegung ein mit dem Grundgesetz vereinbarer, aber dennoch möglichst nachhaltiger Schutz der Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter gewährleistet wird.

Auch der Einwand, dem Therapieunterbringungsgesetz verbleibe bei einer Übertragung der strengen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts zur nachträglichen oder nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung kein Anwendungsbereich, steht der verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Dies gilt unabhängig von der Frage, in welchem Umfang das Therapieunterbringungsgesetz bei einer Übertragung der strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstäbe einen Anwendungsbereich behält, nachdem die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Vorgaben zur nachträglichen oder nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl I S. 2425) in Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB als gesetzliche Übergangsregelung verabschiedet wurden. Denn die Therapieunterbringung ist nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 ThUG und dem Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 17/3403, S. 53) subsidiär zur Sicherungsverwahrung ausgestaltet mit der Folge, dass ein Zurücktreten hinter die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Gesetz selbst angelegt ist. In diesem Kontext darf überdies nicht außer Betracht bleiben, dass das Therapieunterbringungsgesetz zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, zu dem – im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland) – in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch nicht geklärt war, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine Vertrauensschutzbelange berührende Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. So entschied der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am 12. Mai 2010, dass aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofs die Betroffenen in parallel gelagerten Rückwirkungsfällen sofort aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen seien (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 -, juris, Rn.  7 ff.). Der 5. Strafsenat hingegen entschied am 21. Juli 2010, dass die Entscheidung des Gerichtshofs nicht dazu zwinge, in allen Fällen der Sicherungsverwahrung mit Rückwirkungsproblematik die Betroffenen sofort zu entlassen (BGHSt 55, 234 <236 ff.>). Vielmehr seien die Wertungen der Konvention im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, so dass zwar von einem grundsätzlichen Überwiegen des Freiheitsrechts und des Vertrauensschutzes auszugehen sei, dies jedoch bei „höchstgefährlichen Verurteilten“ hinter dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zurücktreten könne (BGHSt 55, 234 <241 f.>). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage stand damals ebenfalls noch aus. Seinerzeit ging es dem Gesetzgeber somit darum, mit dem Therapieunterbringungsgesetz eine eng begrenzte Übergangsregelung bis zum Wirksamwerden der neu geordneten Sicherungsverwahrung zu schaffen (BTDrucks 17/3403, S. 19). Soweit also im weiteren Verlauf die Möglichkeit eröffnet wurde, in den Grenzen der Verfassung und der Konvention den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Gewalt- oder Sexualstraftätern im Recht der Sicherungsverwahrung zu gewährleisten, bedarf es nach dieser Konzeption keines Rückgriffs auf das Therapieunterbringungsgesetz. Ein durch das Recht der Sicherungsverwahrung eingeschränkter Anwendungsbereich steht nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers.

  1. c) Den verfassungsrechtlich gebotenen Abstand zur Vollstreckung der Strafhaft formuliert § 2 ThUG.
  2. aa) § 2 Abs. 1 Nr. 3 ThUG in der seit 1. Juni 2013 gültigen Fassung (vgl. BGBl 2012 I S. 2425 <2430>) schreibt ausdrücklich eine räumliche und organisatorische Trennung von Einrichtungen des Strafvollzuges vor. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 ThUG hat die Unterbringung in einer Einrichtung zu erfolgen, die wegen ihrer medizinisch-therapeutischen Ausrichtung eine angemessene Behandlung der psychischen Störung im Einzelfall auf der Grundlage eines individuell zu erstellenden Behandlungsplans mit dem Ziel einer möglichst kurzen Unterbringungsdauer gewährleisten kann. Die Unterbringung selbst soll die Untergebrachten unter Berücksichtigung der therapeutischen Gesichtspunkte und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit möglichst wenig belasten (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ThUG).
  3. bb) Mit diesen Vorgaben sichert das Gesetz die Wahrung des nicht nur für die Sicherungsverwahrung, sondern auch für die Therapieunterbringung als hinsichtlich der Fortdauer der Freiheitsentziehung gleichermaßen schuldunabhängige Präventivmaßnahme geltende Abstandsgebot (vgl. BVerfGE 128, 326 <374 ff.>) und schafft damit zugleich eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Therapieunterbringung nicht als Strafe im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EMRK einzuordnen ist.

(1) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte legt den Begriff der Strafe autonom, d.h. unabhängig von der Klassifikation einer Maßnahme nach innerstaatlichem Recht, aus. Ausgangspunkt der Beurteilung ist danach, ob die in Rede stehende Maßnahme infolge oder im Anschluss an eine Verurteilung wegen einer Straftat verhängt wird. Als weitere Faktoren werden die Charakterisierung der Maßnahme nach innerstaatlichem Recht, Art und Zweck der Maßnahme, das Verfahren zu ihrer Verhängung und Durchführung sowie ihre Schwere herangezogen (vgl. nur EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 120). Unter Anwendung dieser Maßstäbe gelangte der Gerichtshof im Verfahren Mücke gegen Deutschland zu dem Ergebnis, dass die Maßregel der Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK zu qualifizieren sei. Neben dem Bezug zur Anlasstat, die neben anderen Voraussetzungen unabdingbar für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sei, hob der Gerichtshof insbesondere die Art und Weise der tatsächlichen Vollstreckung als für die Einordnung maßgeblich hervor: Die im Vergleich zu Strafgefangenen geringfügigen Änderungen der Vollzugsgestaltung – wie etwa das Recht, eigene Kleidung zu tragen und die komfortableren Zellen zusätzlich auszustatten – könnten nicht verdecken, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Vollstreckung einer Haftstrafe und der einer Sicherungsverwahrung gebe. Es gebe keine speziellen Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die auf Sicherungsverwahrte ausgerichtet seien und darauf abzielten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu reduzieren und damit ihre Freiheitsentziehung auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich sei, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Die Sicherungsverwahrung werde zudem in einem strafrechtlichen Verfahren angeordnet und stelle im Hinblick auf die mögliche Dauer der Freiheitsentziehung einen der schwersten Eingriffe dar (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 124 ff.; vgl. auch EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 20008/07 – Mautes ./. Deutschland, Rn. 55; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 27360/04 und 42225/07 – Schummer ./. Deutschland, Rn. 67; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 68).

(2) Vor diesem Hintergrund hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung eines schuldunabhängigen präventiven Freiheitsentzugs, der sich von einer Strafe „qualitativ“ unterscheidet, präzisiert (BVerfGE 128, 326 <374>). Die Interpretation des Art. 7 Abs. 1 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verlangt indes keine Anpassung des grundgesetzlichen Begriffs der Strafe in Art. 103 Abs. 2 GG an den Strafbegriff des Art. 7 Abs. 1 EMRK, sondern spricht dafür, das Abstandsgebot deutlicher zu konturieren (BVerfGE 128, 326 <392 f.>).

(3) In der Folge wiederholte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwar seine Kriterien aus der Entscheidung Mücke gegen Deutschland und verwies auf die dort getroffenen Schlussfolgerungen zum Charakter der Sicherungsverwahrung als Strafe im konventionsrechtlichen Sinne (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 103 ff.). Gleichzeitig spezifizierte er jedoch seine Begründung für die Annahme einer Strafe dahingehend, dass er insbesondere nicht von einer Veränderung der gerügten Unterbringungsbedingungen, die weitgehend denen des Vollzugs der Freiheitsstrafe entsprächen, überzeugt sei (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 106; zuletzt auch EGMR, Urteil vom 7. Juni 2012 – Beschwerde-Nr. 61827/09 – K. ./. Deutschland, Rn. 82 f.; Urteil vom 7. Juni 2012 – Beschwerde-Nr. 65210/09 – G. ./. Deutschland, Rn. 73 f.). Die Fokussierung auf das jedenfalls für die Vergangenheit festzustellende Vollzugsdefizit fügt sich im Folgenden auch insoweit in die Entscheidungsgründe des Gerichtshofs ein, als dort im Zusammenhang mit Art. 46 EMRK ausgeführt wird, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 4. Mai 2011 die Feststellungen, die der Gerichtshof in seinen vorgenannten Urteilen zur deutschen Sicherungsverwahrung getroffen hatte, in die innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt habe und damit dieser Verantwortung umfassend nachgekommen sei (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 117 f.; vgl. auch die gleichlautenden Ausführungen in der späteren Entscheidung des EGMR, Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 101 f.). Mit Blick auf die zeitlichen Vorgaben heißt es dort weiter, das Bundesverfassungsgericht habe eine angemessene Lösung zur Beseitigung fortdauernder Konventionsverletzungen gefunden (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 118; EGMR, Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 102).

  1. d) Das Tatbestandsmerkmal der psychischen Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG steht nicht in Widerspruch zu den Wertungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK.
  2. aa) Das Therapieunterbringungsgesetz selbst definiert den Begriff der psychischen Störung, wie er in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG verwendet wird, nicht näher. Wie er zu verstehen ist, geht jedoch aus Wortbedeutung und Entstehungsgeschichte hinreichend deutlich hervor. Mit dem Begriff der psychischen Störung knüpft § 1 Abs. 1 ThUG nach der Gesetzesbegründung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK an, der ausdrücklich eine Freiheitsentziehung bei „psychisch Kranken“ erlaubt (englisch: persons of unsound mind; französisch: aliéné). Danach seien auch abnorme Persönlichkeitszüge erfasst, die nicht einer Geisteskrankheit gleichkämen. Ein weiterhin abnorm aggressives und ernsthaft unverantwortliches Verhalten eines verurteilten Straftäters könne ausreichen. Auch stehe die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betroffenen einer auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK gestützten Unterbringung nicht entgegen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53 f.; mit Nachweisen zur Rechtsprechung der Europäischen Menschenrechtskommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte). Zugleich lehne sich der Begriff der psychischen Störung an die Begriffswahl der heute in der Psychiatrie genutzten Diagnoseklassifikationssysteme ICD-10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO, 10. Revision, Kapitel V) beziehungsweise DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, 4. Aufl.) an (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 54).

In der Gesetzesbegründung ist darüber hinaus ausgeführt, dass die Störung nicht von solcher Art sein müsse, dass sie die strafrechtliche Verantwortung des Täters ausschließt oder in der psychiatrisch-forensischen Begutachtungspraxis als psychische Erkrankung gewertet wird; wohl aber müsse sich ein klinisch erkennbarer Komplex von solchen Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die mit Belastungen und Beeinträchtigungen – auf der individuellen und oft auch der kollektiven oder sozialen Ebene – verbunden sind. Allein soziale Abweichungen oder soziale Konflikte ohne persönliche Beeinträchtigungen der betroffenen Personen seien danach nicht erfasst. Als psychische Störung könnten sich spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz, der Impuls- oder Triebkontrolle darstellen; dies gelte insbesondere für die dissoziale Persönlichkeitsstörung und verschiedene Störungen der Sexualpräferenz, etwa Pädophilie oder Sadomasochismus (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 54). Bereits danach ist der gesetzliche Gehalt der psychischen Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG auf die Vereinbarkeit mit dem Rechtfertigungsgrund für eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK angelegt. Dies in der Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes im Einzelfall zu gewährleisten, ist in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte.

  1. bb) Ungeachtet dessen löst sich die systematische Einpassung der Therapieunterbringung vom bisherigen zweigliedrigen System der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) einerseits und der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) andererseits und installiert einen nicht anhand der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (§§ 20, 21 StGB) abzugrenzenden „dritten Weg“. Dem Verzicht auf ein Defizit strafrechtlicher Verantwortlichkeit als Voraussetzung für die Therapieunterbringung stehen die Wertungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entgegen.

(1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass aufgrund eines objektiven ärztlichen Gutachtens nachgewiesen sein muss, dass der Betroffene an einer „tatsächlichen“, „echten“ psychischen Störung („true mental disorder“) leidet, die nach Art oder Ausmaß („kind or degree“) eine Zwangseinweisung entweder im Eigeninteresse des Betroffenen oder im öffentlichen Interesse erfordert. Die Dauer der Freiheitsentziehung, die ihrem Anlass entsprechend in einer psychiatrischen Klinik oder in einer anderen geeigneten Einrichtung zu vollziehen ist (vgl. zuletzt EGMR, Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 69, m.w.N.), muss vom Fortbestand dieser Störung abhängig sein (vgl. nur EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979 – Beschwerde-Nr. 6301/73 – Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 37 ff.; stRspr). Erforderlich ist danach ein Zusammenhang zwischen der psychischen Störung und einer Gefahr, deren Abwehr die Freiheitsentziehung – unter der Voraussetzung, dass diese in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung erfolgt – zu rechtfertigen geeignet ist, was zugleich eine entsprechende Intensität der psychischen Störung voraussetzt (vgl. Schöch, GA 2012, S. 14 <28>; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 45). Bei der Beurteilung der Frage, ob das Erfordernis der psychischen Störung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK und ihrer Fortdauer erfüllt ist, besitzen die Vertragsstaaten zudem einen Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“; vgl. zuletzt Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 71).

Mit dem allgemeinen Erfordernis, dass die Freiheitsentziehung rechtmäßig („lawful“) und in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise („in accordance with a procedure prescribed by law“) erfolgen muss, verweist Art. 5 Abs. 1 EMRK im Wesentlichen auf das innerstaatliche Recht und verpflichtet dazu, dessen materielle und verfahrensrechtliche Vorgaben einzuhalten (vgl. EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979 – Beschwerde-Nr. 6301/73 – Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 39, 45; Urteil vom 25. Juni 1996 – Beschwerde-Nr. 19776/92 – Amuur ./. Frankreich, Rn. 50; Urteil vom 9. Juli 2009 – Beschwerde-Nr. 11364/03 – Mooren ./. Deutschland, Rn. 72). Dies bedeutet insbesondere, dass jede Festnahme oder Freiheitsentziehung einer gesetzlichen Grundlage im innerstaatlichen Recht bedarf (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 90, m.w.N.).

Zur Wahrung der allgemeinen Rechtmäßigkeitsanforderung reicht die Einhaltung des innerstaatlichen Rechts allein jedoch nicht aus. Vielmehr muss jede Freiheitsentziehung auch mit dem Zweck des Art. 5 Abs. 1 EMRK in Einklang stehen, den Einzelnen vor Willkür zu schützen (vgl. nur EGMR, Urteil vom 9. Juli 2009 – Beschwerde-Nr. 11364/03 – Mooren ./. Deutschland, Rn. 72, m.w.N.). Danach muss das innerstaatliche Recht eine bestimmte Qualität aufweisen, insbesondere muss es hinreichend zugänglich, präzise und in seiner Anwendung vorhersehbar sein („sufficiently accessible, precise and foreseeable in its application“), um jegliche Gefahr der Willkür zu vermeiden (vgl. EGMR, Urteil vom 9. Juli 2009 – Beschwerde-Nr. 11364/03 – Mooren ./. Deutschland, Rn. 76; Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 90, m.w.N.). Zudem muss es adäquaten Rechtsschutz („adequate legal protections“) sowie faire und angemessene Verfahren („fair and proper procedures“) vorsehen (vgl. EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979 – Beschwerde-Nr. 6301/73 – Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 45; Urteil vom 25. Juni 1996 – Beschwerde-Nr. 19776/92 – Amuur ./. Frankreich, Rn. 53; Urteil vom 5. Oktober 2004 – Beschwerde-Nr. 45508/99 – H.L. ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 115). Schließlich muss für eine konventionskonforme Freiheitsentziehung ein Zusammenhang zwischen dem Grund der Freiheitsentziehung und dem Ort und den Bedingungen der Freiheitsentziehung bestehen. Die Freiheitsentziehung einer Person wegen psychischer Krankheit ist danach grundsätzlich nur dann rechtmäßig im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK, wenn sie in einem Krankenhaus, einer Klinik oder einer anderen geeigneten Einrichtung erfolgt (vgl. zuletzt EGMR, Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 69, m.w.N.).

(2) Nach diesen Maßgaben steht das Tatbestandsmerkmal der „psychischen Störung“ in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG den Wertungen der Konvention nicht entgegen. Zur Wahrung der konventionsrechtlichen Vorgaben bedarf es insbesondere nicht einer den Schweregrad nach §§ 20, 21 StGB erreichenden psychischen Störung ((a)). Die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit sind ebenso erfüllt ((b)) wie die übrigen Vorgaben ((c)).

 

(a) (aa) Bereits in einer Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission vom 12. Juli 1976 wurde klargestellt, dass der Begriff der psychischen Störung in einem erweiterten Sinn zu verstehen ist, der auch abnorme Persönlichkeitszüge umfasst, die nicht einer Geisteskrankheit gleichkommen. Während sich aus dem in dieser Entscheidung mitgeteilten Sachverhalt ergibt, dass der Betroffene von den nationalen Gerichten als strafrechtlich nicht verantwortlich eingestuft worden war (vgl. Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission vom 12. Juli 1976 – Beschwerde-Nr. 7493/76 – X ./. Deutschland, Decisions and Reports, Band 6, S. 182 f.), hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in zwei weiteren Entscheidungen eine Unterbringung von zumindest eingeschränkt verantwortlichen Personen auf der Grundlage des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK gutgeheißen. Eine dieser Entscheidungen bezeichnet die dort geprüfte Unterbringung zwar als gesetzmäßig wegen geistiger Krankheit („mental illness“); der Fall betraf aber eine Person, die nach englischem Strafrecht – das außer bei Mordanklagen nur zwischen (voller) Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit unterscheidet, etwaigen Abstufungen dagegen nur im Rahmen der Strafzumessung Rechnung trägt (vgl. Albrecht, in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Band 1 (2007), S. 547) – als schuldfähig beurteilt worden war und demgemäß vor der Unterbringung eine Freiheitsstrafe verbüßt hatte (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Februar 2003 – Beschwerde-Nr. 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 14, 50). Auch das zweite Verfahren betraf die Unterbringung eines Straftäters, der für (nur) eingeschränkt strafrechtlich verantwortlich befunden und zu einer Freiheitsstrafe in Kombination mit psychiatrischer Unterbringung verurteilt worden war (vgl. EGMR, Urteil vom 11. Mai 2004 – Beschwerde-Nr. 48865/99 – Morsink ./. Niederlande, Rn. 9, 62).

(bb) In seinen Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung geht der Gerichtshof davon aus, dass die Sicherungsverwahrung bestimmter Straftäter die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfüllen kann (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 103). Dies ist deshalb von Belang, weil es sich bei sicherungsverwahrten Straftätern typischerweise gerade nicht um solche mit erheblich beeinträchtigter strafrechtlicher Verantwortlichkeit handelt. Denn bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) und – wegen einer psychischen Störung, die eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit begründet – für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ist, wenn der für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erforderliche Hang zu bestimmten Straftaten auf den psychischen Defekt zurückzuführen ist, grundsätzlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus der Vorrang einzuräumen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. August 1997 – 2 StR 1999/97 -, NStZ 1998, S. 35 <36>; BGH, Urteil vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01 – juris, Rn. 15; ebenso, mit Verweis auf den ultima-ratio-Charakter der Sicherungsverwahrung, BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 71/11 -, juris, Rn. 21).

Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinen Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung eine Rechtfertigung über Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK abgelehnt hat, lagen dem keine Ausführungen zugrunde, wonach eine psychische Störung im Sinne dieser Bestimmung mindestens mit einer erheblichen Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einhergehen muss. Der Gerichtshof hat das Vorliegen einer psychischen Störung teilweise verneint (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 103) oder zumindest in Zweifel gezogen (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 55; Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 86; Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 79). Dabei orientierte er sich an der seinerzeit nach nationalem Recht zu treffenden Unterscheidung zwischen der Unterbringung gefährlicher Straftäter in der Sicherungsverwahrung einerseits und der Unterbringung psychisch Kranker, die im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der erheblich verminderten Schuldfähigkeit Straftaten begangen haben, in einem psychiatrischen Krankenhaus andererseits (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 55) und stützte sich auf die Feststellung der nationalen Gerichte, die eine Unterbringung der Betroffenen nach § 63 StGB abgelehnt hatten (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 22, 103; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 55; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 6587/04 – Haidn ./. Deutschland, Rn. 92, dort zu landesrechtlichen Regelungen).

Weiter stellte der Gerichtshof – ohne in allen Fällen abschließend über die Frage einer psychischen Störung zu entscheiden – darauf ab, dass die nationalen Gerichte jedenfalls nicht dazu berufen gewesen seien, das Vorliegen einer psychischen Störung zu überprüfen, und die Unterbringungsentscheidung nicht auf eine psychische Störung gestützt worden sei (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 103; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 56; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 6587/04 – Haidn ./. Deutschland, Rn. 93; Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 86; Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 79). Darüber hinaus scheide – abermals unabhängig vom Vorliegen einer psychischen Störung – eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK aus, weil die Unterbringung nicht in einer für psychisch Kranke adäquaten Einrichtung erfolgt sei (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 57; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 6587/04 – Haidn ./. Deutschland, Rn. 94; Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 87 ff.; Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 80 ff.).

Im Kontext mit dem für eine konventionskonforme Freiheitsentziehung erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Grund, dem Ort und den Bedingungen der Freiheitsentziehung bezog der Gerichtshof in seine Erwägungen mit ein, dass von der gesetzlichen Möglichkeit, die angeordnete Sicherungsverwahrung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen (§ 67a Abs. 2 StGB), kein Gebrauch gemacht wurde. Dabei führte er in Auseinandersetzung mit den abweichenden nationalen Vorgaben des § 67a Abs. 2 StGB, der eine bessere Förderung der Resozialisierung durch die Überweisung in eine andere Maßnahme voraussetzt, aus, dass für eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK auch Therapieunwillige, denen wegen psychischer Krankheit die Freiheit entzogen wird, in einer für ihren Zustand geeigneten medizinisch therapeutischen Einrichtung unterzubringen seien (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 89; Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 82). Rückschlüsse auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer psychischen Störung lassen sich aus der Nichtüberweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus indes nicht ziehen.

(cc) Die Entscheidungen zum Recht der Sicherungsverwahrung sind nach alledem dahin zu verstehen, dass sich der Gerichtshof hinsichtlich des für die Annahme einer psychischen Störung erforderlichen Schweregrades an den Feststellungen orientiert, die die Gerichte des jeweiligen Vertragsstaates auf der Grundlage der Systematik des jeweiligen nationalen Rechts getroffen hatten. Im deutschen Recht war vor dem Inkrafttreten des Therapieunterbringungsgesetzes die psychische Verfassung eines gefährlichen Straftäters bei der Entscheidung über seine präventive Unterbringung nur im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Schuldfähigkeit und fehlender oder erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) von Bedeutung – ersterenfalls kam nur die Sicherungsverwahrung, letzterenfalls in der Regel nur die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht. Der Gerichtshof konnte daher für die Frage des Vorliegens einer psychischen Störung nur auf die anhand der genannten Unterscheidung getroffenen Feststellungen der deutschen Gerichte zurückgreifen.

Das bedeutet indes nicht, dass der nationale Gesetzgeber nicht, wie mit dem Therapieunterbringungsgesetz geschehen, die Systematik des nationalen Rechts verändern und eine vom Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit unabhängige „psychische Störung“ – als dritten Weg – zur gesetzlichen Voraussetzung einer therapiegerichteten Unterbringung machen dürfte. Dementsprechend hat der Gerichtshof zuletzt mehrfach hervorgehoben, dass die nationalen Gerichte bei ihren Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung von Sicherungsverwahrten – also außerhalb des § 63 StGB – nicht darüber zu befinden gehabt hätten, ob der Betroffene eine psychische Störung aufwies. Genau hier setzt das Therapieunterbringungsgesetz an, indem es – neben bestimmten Anforderungen an eine daraus resultierende Gefahr – erstmals das Vorliegen einer psychischen Störung zur gesetzlichen Unterbringungsvoraussetzung bestimmt und damit entsprechende von den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB unabhängige gerichtliche Prüfungspflichten begründet.

(b) Soweit der Gerichtshof für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung auch qualitative Anforderungen an das nationale Recht stellt, genügt das Therapieunterbringungsgesetz insbesondere auch den Ansprüchen an die Vorhersehbarkeit. Der Gerichtshof verlangt sowohl eine präzise („precise“) Formulierung der Tatbestandsvoraussetzungen, eine Anforderung, die keine erkennbaren Unterschiede zu den nationalen Bestimmtheitsanforderungen aufweist (dazu unter IV.), als auch eine vorhersehbare („foreseeable“) Rechtsanwendung in dem Sinne, dass die gesetzliche Regelung zum maßgeblichen Zeitpunkt in Kraft gewesen sein muss, um jegliche Gefahr der Willkür zu vermeiden (vgl. nur EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 90, m.w.N.).

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist über den maßgeblichen Zeitpunkt für die Vorhersehbarkeit bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK bislang noch nicht ausdrücklich entschieden worden. Als maßgeblicher Zeitpunkt für eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK, bei der es im Kern nicht – wie etwa bei Art. 7 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a EMRK – um die Freiheitsentziehung wegen einer in der Vergangenheit liegenden Handlung sowie einer daran anknüpfenden Verurteilung sondern um die Freiheitsentziehung wegen eines gegenwärtigen Zustandes (hier: einer psychischen Störung und der darauf beruhenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit) geht (vgl. BVerfGE 128, 326 <398>), ist auf den Zeitpunkt der Anordnung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt muss auch die psychische Störung zuverlässig nachgewiesen sein (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Februar 1984 – Beschwerde-Nr. 9019/80 – Luberti ./. Italien, Rn. 28; Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 68).

Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass der Gerichtshof in der Sache Mücke gegen Deutschland im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 EMRK eher allgemein „ernstliche Zweifel“ an der Vorhersehbarkeit formulierte und als maßgebliches Moment wohl zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat tendierte (vgl. nur EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 104). Die dortige Aussage kann aber nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass für die Anordnung einer Freiheitsentziehung nach Art. 5 EMRK stets auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist. Dies wäre auch unter systematischen Gesichtspunkten nicht ohne weiteres ersichtlich, weil mit einer solchen verallgemeinernden Aussage zu Art. 5 Abs. 1 EMRK als Ganzes letztlich das spezifische Rückwirkungsverbot beim Strafen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EMRK auf sämtliche Rechtfertigungsgründe des Art. 5 Abs. 1 EMRK übertragen würde. Überdies würde sich diese Auslegung nicht in die Rechtsprechung der Großen Kammer einfügen, der zufolge die Vorhersehbarkeit und der maßgebliche Bezugszeitpunkt, die der Vermeidung von Willkür zu dienen bestimmt sind, unter Berücksichtigung des jeweiligen Grundes der Freiheitsentziehung und dessen Zweck zu sehen sind (vgl. EGMR, Urteil vom 9. Juli 2009 – Beschwerde-Nr. 11364/03 – Mooren ./. Deutschland, Rn. 77; vgl. auch EGMR, Urteil vom 29. Januar 2008 – Beschwerde-Nr. 13229/03 – Saadi ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 68). Bezieht man in die Betrachtung mit ein, dass die Unterbringung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK die Freiheitsentziehung wegen eines aktuellen Zustands zum Schutz der Allgemeinheit (vgl. EGMR, Urteil vom 4. April 2000 – Beschwerde-Nr. 26629/95 – Litwa ./. Polen, Rn. 60) ist und nicht vorrangig die Reaktion auf ein vorangegangenes Verhalten darstellt, ist im Lichte des Normzwecks und unter Wahrung des nationalen Beurteilungsspielraums auf den Zeitpunkt der Anordnung abzustellen und nicht im Sinne eines absoluten Rückwirkungsverbots auf einen bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit.

(c) Den weiteren konventionsrechtlichen Anforderungen an eine rechtmäßige Unterbringung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK genügt das Therapieunterbringungsgesetz ebenfalls. Die psychische Störung ist durch sachverständige Begutachtung nachzuweisen (§ 9 ThUG). Durch die zeitliche Begrenzung der Unterbringung (§ 12 Abs. 1 ThUG) und das Erfordernis einer erneuten Begutachtung bei einer Verlängerung (§ 12 Abs. 2 i.V.m. § 9 ThUG) wird gewährleistet, dass die Fortdauer der Freiheitsentziehung vom Fortbestehen der psychischen Störung abhängt. Die Notwendigkeit der zwangsweisen Unterbringung, die nicht nur dann gegeben ist, wenn eine Person eine therapeutische, medikamentöse oder anderweitige klinische Behandlung braucht, sondern auch dann, wenn sie Kontrolle und Aufsicht benötigt, um sie beispielsweise davon abzuhalten, sich selbst oder anderen Personen Schaden zuzufügen (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Februar 2003 – Beschwerde-Nr. 50272/99 – Hutchison Reid ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 52), folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG. Dieser verlangt – in verfassungskonformer Auslegung – eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten und damit eine qualifizierte Beeinträchtigung hochrangiger Rechtsgüter Dritter. Mit den Vorgaben für geeignete Einrichtungen zur Unterbringung (§ 2 ThUG) wird der konventionsrechtlich geforderte Zusammenhang zwischen dem Grund der Freiheitsentziehung und dem Ort und den Bedingungen der Unterbringung gewährleistet. Schließlich wird dem Betroffenen zur Sicherung eines fairen Verfahrens verpflichtend ein Rechtsanwalt als Beistand beigeordnet (§ 7 ThUG) und gesondert eine persönliche Anhörung des Betroffenen vorgeschrieben (§ 8 Abs. 2 ThUG). Die Landgerichte (§ 4 ThUG) entscheiden über die Unterbringung durch Beschluss (§ 10 ThUG), gegen den seinerseits die Beschwerde zur Verfügung steht (§ 16 ThUG).

 

IV.

Die Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz verstößt bei der aus Vertrauensschutzbelangen heraus erforderlichen verfassungskonformen Auslegung (s.o.) nicht aus sonstigen Gründen gegen das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG; insbesondere sind die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots gewahrt.

  1. Art. 103 Abs. 2 GG findet auf die Therapieunterbringung keine Anwendung, weil diese ebenso wie die Sicherungsverwahrung nicht als Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG zu qualifizieren ist (vgl. BVerfGE 109, 133 <187 f.>; 128, 326 <376 f., 392 f.>; jeweils zur Sicherungsverwahrung). Strafbarkeit gemäß Art. 103 Abs. 2 GG setzt voraus, dass das auferlegte materielle Übel mit der Missbilligung vorwerfbaren Verhaltens verknüpft ist und von seiner Zielrichtung her (zumindest auch) dem Schuldausgleich dient (BVerfGE 109, 133 <172 ff.>; 128, 326 <376 f., 392 f.>). Der Zweck der Therapieunterbringung liegt jedoch allein in der zukünftigen Sicherung der Gesellschaft und ihrer Mitglieder vor einzelnen, aufgrund ihres bisherigen Verhaltens als hochgefährlich eingeschätzten Tätern.

Den Maßstab für die Bestimmtheitsanforderungen bildet vorliegend Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, der den Gesetzgeber verpflichtet, die Fälle, in denen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll, hinreichend klar zu bestimmen. Freiheitsentziehungen sind in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln. Insoweit konkretisiert Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Bestimmtheitsanforderungen (vgl. BVerfGE 29, 183 <195 f.>; 76, 363 <387>; 109, 133 <188>). Dabei müssen die Vorgaben des Gesetzgebers umso genauer sein, je intensiver der Grundrechtseingriff ist und je schwerwiegender die Auswirkungen der Regelung sind (vgl. BVerfGE 86, 288 <311>; 93, 213 <238>, m.w.N.; 109, 133 <188>). Da präventive Freiheitsentziehungen ebenso stark in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eingreifen wie Freiheitsstrafen, ergibt sich aus Art. 104 Abs. 1 GG im Ergebnis ein ähnliches Bestimmtheitsgebot wie aus Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfGE 29, 183 <196>; 78, 374 <383>; 96, 68 <97>; 131, 268 <306>).

Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung konkretisierungsbedürftiger Begriffe nicht aus (vgl. BVerfGE 11, 234 <237>; 28, 175 <183>; 48, 48 <56>; 92, 1 <12>; 126, 170 <196>). Der Gesetzgeber muss in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden (zu Art. 103 Abs. 2 GG, vgl. BVerfGE 28, 175 <183>; 47, 109 <120 f.>; 126, 170 <195>). Dabei lässt sich der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben (BVerfGE 28, 175 <183>; 86, 288 <311>; 126, 170 <196>). Gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (BVerfGE 45, 363 <371 f.>; 86, 288 <311>). Die Rechtsprechung ist zudem gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (zum an die Rechtsprechung gerichteten Präzisierungsgebot im Rahmen des Art. 103 Abs. 2 GG, vgl. BVerfGE 126, 170 <198>).

  1. Nach diesen Maßstäben ist die Vorschrift des § 1 Abs. 1 ThUG nicht zu beanstanden. Die psychische Störung als unbestimmter Rechtsbegriff (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. September 2011 – 2 BvR 1516/11 -, juris, Rn. 39) erfährt durch die in der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53 f.) aufgenommene Anknüpfung an die zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK entwickelten Voraussetzungen und die Anlehnung an die Begriffswahl der heute in der Psychiatrie genutzten Diagnoseklassifikationssysteme eine Konturierung, die zusammen mit den weiteren gesetzlichen Merkmalen einer präzisierenden, den Anforderungen an die Bestimmtheit genügenden Auslegung zugänglich ist.
  2. a) aa) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK begründet – auch ohne abschließende Begriffsdefinition – eine restriktive Auslegung dahin, dass jedenfalls qualitative Mindestanforderungen an die psychische Störung zu stellen sind. So wird vorausgesetzt, dass aufgrund eines objektiven ärztlichen Gutachtens nachgewiesen ist, dass der Betroffene an einer „tatsächlichen“, „echten“ psychischen Störung leidet („true mental disorder“), die nach Art oder Ausmaß („kind or degree“) eine Zwangseinweisung erfordert, und zwar entweder im Eigeninteresse des Betroffenen oder im öffentlichen Interesse. Ferner muss die Dauer der Freiheitsentziehung vom Fortbestand dieser Störung abhängig sein und die Unterbringung ihrem Anlass entsprechend in einer psychiatrischen Klinik oder Anstalt vollzogen werden (vgl. nur EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979 – Beschwerde-Nr. 6301/73 – Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 37 ff.; stRspr). Neben dem formalen Aspekt, dass die Diagnose nur auf ein objektives ärztliches Gutachten gestützt werden kann, wird qualitativ eine „tatsächliche“, „echte“ psychische Störung verlangt, die nach Art ihrer Ausprägung eine zwangsweise Unterbringung erfordert. Damit stellt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK – ebenso wie § 1 Abs. 1 ThUG selbst (dazu gleich unter (b)) – eine Rückkoppelung der psychischen Störung zum Unterbringungszweck her und begründet dadurch Anforderungen an die Intensität der psychischen Störung (vgl. Schöch, GA 2012, S. 14 <28>; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 45), indem sich die psychische Störung im Grund der Freiheitsentziehung niederschlagen muss. Letzteres kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Unterbringung ihrem Anlass entsprechend in einer geeigneten Einrichtung zu erfolgen hat.
  3. bb) Darüber hinaus lehnt sich die Gesetzesbegründung zur Bestimmung der psychischen Störung an die in der Psychiatrie anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO, 10. Revision, Kapitel V) beziehungsweise DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, 4. Aufl.) an (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 54).

(1) Soweit kritisiert wird, dass die Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV umstritten sei, weil die Kriterien bereits durch wiederholte Regelverstöße und Verhaltensauffälligkeiten erfüllt würden, während psychopathologische Symptome nicht erforderlich seien (vgl. Stellungnahme der DGPPN vom 6. März 2012, S. 4), ist dem entgegenzuhalten, dass jedenfalls nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 17/3403, S. 54) und dem ebenfalls vorhandenen Verweis auf das Klassifikationssystem ICD-10 nicht in Zweifel gezogen werden kann, dass für eine psychische Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG allein soziale Abweichungen oder Konflikte nicht genügen.

(2) Mit den üblichen Methoden der Auslegung beantwortbar ist auch die Frage, ob ein subjektiver Leidensdruck des Betroffenen Voraussetzung für die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG ist. Aufgetretene Meinungsverschiedenheiten hierüber begründen ebenfalls keine unzureichende Bestimmtheit dieser Norm.

 

Bejahende Antworten auf die genannte Frage sind einerseits aus dem in Anlehnung an die in der Psychiatrie anerkannten Klassifikationssysteme auszufüllenden Begriff der „psychischen Störung“ (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 9. Juni 2011 – 4 Ws 207/10 -, juris, Rn. 29, 41 ff., dort zum Begriff der psychischen Störung im Recht der Sicherungsverwahrung; vgl. auch Morgenstern, ZIS 2011, S. 974 <977 f.>; Mahler/Pfäfflin, R&P 2012, S. 130 <131>), andererseits aus dem in § 1 Abs. 1 ThUG verwendeten Verb „leidet“ (vgl. Dessecker, ZIS 2011, S. 706 <712>) abgeleitet worden (auf beide Gesichtspunkte abstellend Krehl, StV 2012, S. 27 <30>; Kröber, FPPK 2012, S. 60 <60 f.>). Beide Ableitungen können nicht überzeugen.

Was das Verhältnis von subjektivem Leidensdruck und psychischer Störung im Sinne der Psychiatrie angeht, besteht zwar ein empirischer, nicht aber ein begrifflicher Zusammenhang. So wird zwar einerseits vorgetragen, Leidensdruck sei regelmäßig oder grundsätzlich kennzeichnend für eine psychische Störung (vgl. Merkel, Betrifft Justiz 2011, S. 202 <205>; Morgenstern, ZIS 2011, S. 974 <977>), andererseits aber zugestanden, dass alternativ auch bloß objektive Einschränkungen in wichtigen Funktionsbereichen in Betracht kommen (Mahler/Pfäfflin, R&P 2012, S. 130 <131>; wohl auch Morgenstern, ZIS 2011, S. 974 <978>). Danach ist subjektiver Leidensdruck, wenn er auch häufige oder typische Begleiterscheinung einer psychischen Störung sein mag, keine definitorische Voraussetzung für das Vorliegen einer solchen Störung. Dem entspricht es, dass in der Vorbemerkung zu den Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60-F69) nach ICD-10 ausgeführt wird, dass diese häufig – mithin nicht immer – mit einem unterschiedlichen Ausmaß persönlichen Leidens und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einhergingen (vgl. Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO, 10. Revision, Version 2013, Kapitel V, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60-F69), S. 297).

Hinzu kommt, dass der juristische Begriff der psychischen Störung nach § 1 Abs. 1 ThUG sich zwar an die in der Psychiatrie genutzten Diagnoseklassifikationssysteme anlehnt. Bei der Auslegung dieses Begriffs als Rechtsbegriff kann jedoch – anders bei einem hippokratischen Ansatz, bei dem das Leiden als Rechtfertigung für die therapeutische Intervention herangezogen wird (vgl. Kröber, FPPK 2012, S. 60 <61>) – der Zweck der Vorschrift nicht außer Betracht bleiben. § 1 Abs. 1 ThUG ist darauf gerichtet, im Einklang mit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK einen möglichst nachhaltigen Schutz der Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter zu erreichen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53). Auf einen subjektiven Leidensdruck abzustellen und damit die Möglichkeit der Unterbringung von Personen auszuschließen, die unter ihrer – sie zu schwersten Gewalt- und/oder Sexualstraftaten treibenden – psychischen Verfassung nach eigener Wahrnehmung nicht leiden, wäre mit dieser gesetzgeberischen Konzeption nicht vereinbar (vgl. Merkel, Betrifft Justiz 2011, S. 202 <206>).

Auch der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG, wonach die Unterbringungsanordnung voraussetzt, dass der Betroffene „an einer psychischen Störung leidet“ legt eine derart zweckwidrige Auslegung nicht nahe. Das Verb „leiden (an)“ kann für das schlichte Betroffensein von etwas stehen, das zwar derjenige, der das Wort verwendet, nicht aber notwendigerweise auch der Betroffene selbst als negativ bewertet (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 5. Aufl. 2003, S. 1008). Um diese allein eine Bewertung desjenigen, der die Wendung „leiden (an)“ gebraucht, implizierende Bedeutung handelt es sich in besonders offensichtlicher Weise, wenn sie in Bezug auf Gegenstände angewendet wird, die subjektiven Leidens von vornherein nicht fähig sind; so etwa, wenn von einem Verwaltungsakt die Rede ist, der „an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet“ (§ 125 Abs. 1 AO). Häufig wird die Wendung aber auch in personenbezogenen, insbesondere medizinischen, Zusammenhängen in dieser über die subjektive Befindlichkeit der Betroffenen nichts aussagenden und Feststellungen hierzu nicht erfordernden Weise verwendet (vgl. nur etwa § 21 Abs. 2 Nr. 6 Arzneimittelgesetz). Um eine solche Verwendung handelt es sich in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG (vgl. auch Nußstein, StV 2011, S. 633 <634>).

  1. b) Die Möglichkeit der Therapieunterbringung erfährt eine weitere, maßgebliche Einschränkung dadurch, dass das Gesetz ausdrücklich neben der psychischen Störung einen Kausalzusammenhang zwischen der psychischen Störung und der Gefahr verlangt. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG kann das zuständige Gericht die Unterbringung einer Person anordnen, wenn sie an einer psychischen Störung leidet und eine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ihres Vorlebens und ihrer Lebensverhältnisse ergibt, dass sie infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird. Die Gesetzesbegründung führt zu der danach erforderlichen Kausalität aus, dass über das Erfordernis der Gefährlichkeitsprognose, die einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit verlange, sichergestellt werde, dass eine Unterbringung nur bei störungsbedingten erheblichen Gefahren für besonders bedeutende Rechtsgüter Dritter in Betracht komme; die Gefährlichkeit der betroffenen Person müsse im Sinne einer Kausalität auf der psychischen Störung beruhen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 54). Durch diese Verknüpfung wird die konventionsrechtliche Vorgabe aufgenommen, wonach der Grad oder die Art der Störung eine zwangsweise Unterbringung rechtfertigen muss (vgl. nur EGMR, Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 69, m.w.N.; stRspr).

Dabei ist es unschädlich, dass der Begriff der psychischen Störung, ausgehend von den Diagnosemanualen, vielfältige und mit unterschiedlichsten Auswirkungen auf die Betroffenen verbundene Störungen einschließt und damit einen weiten Kreis von Personen erfasst, bei denen nur in seltenen Fällen zugleich eine Gefährlichkeit oder gar erhebliche Gefährlichkeit gegeben ist. Eine stigmatisierende Zuschreibung des Inhalts, dass Personen, die an einer psychischen Störung leiden, zugleich in einem ihre Unterbringung rechtfertigenden Sinne gefährlich sind, liegt in der tatbestandlichen Anknüpfung an den Begriff der psychischen Störung gerade nicht; die zusätzliche Anforderung einer aus der psychischen Störung resultierenden besonderen Gefährlichkeit impliziert im Gegenteil, dass die Gefährlichkeit gerade nicht als mit einer psychischen Störung ohne weiteres verbunden angesehen wird. Mit dem Erfordernis kausaler Verknüpfung zwischen der psychischen Störung und der zusätzlich erforderlichen Gefährlichkeit wird die konventionsrechtliche Vorgabe aufgenommen, wonach der Grad oder die Art der Störung eine zwangsweise Unterbringung rechtfertigen muss (vgl. nur EGMR, Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 69 m.w.N.; stRspr).

  1. c) Die Reichweite der Eingriffsnorm wird im Übrigen durch die formellen Anforderungen der Therapieunterbringung weiter eingegrenzt, die ihrerseits hinreichend bestimmt sind. Dies gilt allem voran für die Bezugnahme auf eine Verurteilung wegen einer der Katalogtaten des § 66 Abs. 3 StGB, die nach der Gesetzesbegründung unzweifelhaft nicht notwendigerweise Anlasstat für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gewesen sein muss (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53), und für die Voraussetzung einer vorangegangenen Sicherungsverwahrung.

Letztlich genügt das Therapieunterbringungsgesetz auch den an eine Prognoseentscheidung zu stellenden besonderen Bestimmtheitsanforderungen, wonach der Gesetzgeber bei präventiven Freiheitsentziehungen nicht nur über die tatbestandlichen Voraussetzungen der freiheitsentziehenden Maßnahme entscheiden muss, sondern angesichts der mit der Prognoseentscheidung verbundenen Unsicherheit auch festzulegen hat, welche zeitliche Wirkung der Prognoseentscheidung zukommt und wann diese zu überprüfen ist (vgl. BVerfGE 109, 133 <188>). In § 12 Abs. 1 ThUG hat der Gesetzgeber die zeitliche Wirkung der Prognoseentscheidung auf längstens 18 Monate begrenzt und in § 12 Abs. 2 Satz 1 ThUG für eine Verlängerungsentscheidung die Vorschriften für die erstmalige Anordnung – mit angepassten Vorgaben zur Begutachtung (§ 12 Abs.  2 Satz 2 bis 4 ThUG) – für entsprechend anwendbar erklärt.

 

V.

Das Therapieunterbringungsgesetz verstößt in der hier maßgeblichen Fassung nicht gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG.

  1. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet innerhalb seines hier eröffneten Anwendungsbereichs (vgl. zum Anwendungsbereich, BVerfGE 24, 367 <396>; 83, 130 <154>; 95, 1 <17>) grundrechtseinschränkende Gesetze, die nicht allgemein sind, sondern nur für den Einzelfall gelten. Die Anforderung, dass das Gesetz allgemein zu sein hat, ist erfüllt, wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht absehen lässt, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet (BVerfGE 121, 30 <49>, m.w.N.).

Das schließt die Regelung eines Einzelfalls nicht aus, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird (vgl. BVerfGE 25, 371 <399>; 85, 360 <374>). Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG enthält letztlich eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes (vgl. BVerfGE 25, 371 <399>; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 12. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 2; vgl. auch Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Band I, Art. 19 I Rn. 16 („Verschärfung oder Konkretisierung“); Hufeld, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 1 Satz 1 Rn. 8 (156. Lfg 2012) („Verschärfung“)), der es dem Gesetzgeber verbietet, aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Sonderregel zu machen (vgl. BVerfGE 25, 371 <399>; 85, 360 <374>). Der gleichheitssichernden Funktion des Verbots des Einzelfallgesetzes entspricht es auch, wenn diesem Verbot die Funktion zugeschrieben wird, den Grundsatz der Gewaltenteilung zu gewährleisten, indem konkret-individuelle Regelungen im Regelfall der Exekutive und generell-abstrakte Regelungen der Legislative vorbehalten bleiben (vgl. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 19 Rn. 20), denn der Gewaltenteilungsgrundsatz ist insoweit gerade in seiner gleichheitssichernden Funktion angesprochen.

Ohne die am Normzweck orientierte Begrenzung des Verbotsausspruchs, der zufolge bei entsprechender sachlicher Rechtfertigung auch die Regelung eines singulären Sachverhalts zulässig ist, geriete Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG in ein Spannungsverhältnis zu anderen Grundsätzen der Verfassung. Das gilt namentlich mit Blick auf den aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Vorbehalt des Gesetzes in Form des Parlamentsvorbehalts (vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 1 Rn. 15 (66. Lfg. 2012); Krebs, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 8 ff.), wenn der Normgeber nur in der Gestalt des förmlichen Gesetzes zur Rechtssetzung befugt ist. Dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, ist Sache des Gesetzgebers. So kann vermieden werden, dass die Staatsgewalt auch in Konstellationen zur Untätigkeit gezwungen wäre, in denen ein (zwingendes) Regelungsbedürfnis für den singulären Sachverhalt besteht.

  1. Nach diesen Maßstäben verstößt das Therapieunterbringungsgesetz nicht gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG.

Dem Wortlaut nach ist § 1 Abs. 1 ThUG abstrakt gefasst und wird insoweit dem Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG gerecht. Der Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft zwar einen eng begrenzten Personenkreis, da von vornherein nur bereits Sicherungsverwahrte betroffen sind, die infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen waren oder bereits entlassen worden waren (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 19). Eine Individualisierung der Betroffenen liegt in dieser abstrakten Begrenzung jedoch nicht. Dem Gesetzgeber war zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens die genaue Anzahl der vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 ThUG Betroffenen nicht bekannt. Erst recht konnte der Gesetzgeber keine Kenntnis davon haben, welche individuellen Personen betroffen sein würden. Aufgrund der seinerzeit in der fachgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärten Frage, wie das Urteil des Gerichtshofs (EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland) im nationalen Kontext zu berücksichtigen sei (vgl. einerseits BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 -, juris; andererseits BGH, Beschluss vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 -, BGHSt 55, 234), stand nicht fest, für welchen Kreis der Sicherungsverwahrten der zu berücksichtigende Vertrauensschutz zu einer Erledigung der Sicherungsverwahrung führen und die Anwendbarkeit des Therapieunterbringungsgesetzes eröffnen würde. Darüber hinaus begründet § 1 Abs. 1 ThUG keinen Automatismus dahingehend, dass alle Sicherungsverwahrten, die weiterhin als gefährlich eingestuft werden, aber aufgrund des Urteils des Gerichtshofs vom 17. Dezember 2009 entlassen wurden oder werden, in die Therapieunterbringung überführt werden.

 

  1. Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes nicht zu vereinbaren. Die Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil die Fachgerichte bei ihren Entscheidungen nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsmaßstab zugrunde gelegt haben. Für die Feststellung der Grundrechtsverletzung kommt es allein auf die objektive Verfassungswidrigkeit der angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an; unerheblich ist hingegen, ob die Grundrechtsverletzung den Fachgerichten vorwerfbar ist (vgl. BVerfGE 128, 326 <407 f.>).
  2. a) Der im Verfahren 2 BvR 2302/11 angegriffene Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. September 2011 genügt nicht den Erfordernissen des Vertrauensschutzes.

Das Oberlandesgericht stellt nach Wiedergabe des Gesetzeswortlautes als Maßstab darauf ab, dass auf Grundlage der Sachverständigengutachten „mit hoher Wahrscheinlichkeit mit weiteren schweren (Sexual-)Straftaten zu rechnen sei“ und bezieht sich auf den „erhöhten Gefährlichkeitsmaßstab“ aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011. Allerdings wird dieser erhöhte Gefährlichkeitsmaßstab dieser Entscheidung insoweit nicht angewandt, als es danach auf die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ankommt (vgl. BVerfGE 128, 326 <332>). Vielmehr stellt das Oberlandesgericht lediglich auf „schwere (Sexual-)Straftaten“ ab. Auch aus den sonstigen Ausführungen kann nicht geschlossen werden, dass das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung die strengen, auch hier zugrunde zulegenden Maßstäbe zur nachträglichen oder nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung angewandt hätte; insbesondere lässt auch die Formulierung, dass „von einer sehr hohen Wiederauftretenswahrscheinlichkeit erneuter Delikte der gleichen Oberkategorie“ ausgegangen werden müsse, nicht erkennen, dass als „Oberkategorie“ nur „schwerste“ Gewalt- oder Sexualstraftaten ins Auge gefasst wurden.

  1. b) Auch die der Beschwerde vorangehende Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken vom 2. September 2011 wendet nicht den aus Vertrauensschutzgründen heranzuziehenden Maßstab an, sondern stellt – ausgehend von den im dortigen Verfahren vorliegenden Gutachten – ohne weitere Begründung zum erforderlichen Maßstab darauf ab, „dass vom Betroffenen weiterhin die Gefahr gravierender Gewalt- und/oder Sexualdelikte der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art [ausgehe]“. Dies genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, weil der in Bezug genommene (weite) Katalog nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht insgesamt den schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten zugeordnet werden kann und zudem die erforderliche Wahrscheinlichkeit für die Begehung eines solchen Delikts nicht thematisiert wird.
  2. a) Der im Verfahren 2 BvR 1279/12 angegriffene Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 14. Mai 2012 lässt im Zusammenwirken der wiedergegebenen Begutachtungsergebnisse, der Ausführungen zu einem von der Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts abweichenden Maßstab und der vorgenommenen Subsumtion ebenfalls nicht erkennen, ob das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung den für eine Anordnung der Therapieunterbringung gebotenen Verhältnismäßigkeitsmaßstab anwendet. Ausgehend vom Wortlaut des § 1 Abs. 1 ThUG stellt das Oberlandesgericht heraus, dass die „hohe Wahrscheinlichkeit“ im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes nicht gleichbedeutend sei mit der „hochgradigen Gefahr für die Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualdelikte“, wie sie im Bereich der nachträglichen und nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung gefordert werde.

Dabei bedarf es keiner Entscheidung, inwieweit die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum erforderlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab für sich genommen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu vereinbaren sind. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist der Ansatz des Oberlandesgerichts, demzufolge der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nicht an einer festen Prozentgrenze festgemacht werden könne, sondern das Gewicht der prognostizierten Delikte in die Betrachtung mit einzubeziehen sei. Dieser Zusammenhang gründet sich darauf, dass die gestellten, hohen Anforderungen Ausfluss des im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigenden Vertrauensschutzes des Betroffenen sind, dem das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegenübergestellt wird. Da das Gewicht dieses Allgemeininteresses sich aus zwei Elementen zusammensetzt – der Schwere der prognostizierten Delikte einerseits und der für diese bestehenden Eintrittswahrscheinlichkeit andererseits – kann zur Bestimmung des einzustellenden Gesamtgewichts ein Weniger des einen in engen Grenzen durch ein Mehr des anderen ausgeglichen werden. Dabei haben Delikte unterhalb der Schwelle „schwerster Gewalt- oder Sexualdelikte“ außer Betracht zu bleiben. Innerhalb der Bandbreite dieser Deliktskategorie kann aber aufgrund des beschriebenen normativen Zusammenhangs die Konkretisierung der „hochgradigen Gefahr“ variieren, wobei auch für die denkbar schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten immer eine signifikante Eintrittswahrscheinlichkeit bestehen muss.

Die angegriffene Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts genügt jedoch deshalb nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben, weil sich dem Beschluss nicht entnehmen lässt, dass der Prognosemaßstab allein auf die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden „schwersten Gewalt- oder Sexualdelikte“ bezogen wird. Sowohl die Wiedergabe der Erkenntnisse der vorangegangenen Begutachtungen als auch die Darstellung der für das Verfahren eingeholten Gutachten beziehen die Wahrscheinlichkeitsprognosen nicht auf den Deliktsbereich der „schwersten Gewalt- oder Sexualdelikte“, sondern sprechen allgemein von „Gewaltdelikten gegenüber Frauen“, „neuerlichen Sexualstraftaten beziehungsweise Gewaltstraftaten“, „Delikten der gleichen Oberkategorie“, „erneuten Gewaltdelikten“, „sexuellen Gewaltdelikten“ oder „plötzlich aggressivem Verhalten“. Weil diese Formulierungen auch Deliktstypen umfassen können, die nicht dem Bereich der „schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten“ zugeordnet werden können, genügt es nicht, wenn das Oberlandesgericht – ohne dass dies den wiedergegebenen gutachterlichen Stellungnahmen zu entnehmen wäre – als Ergebnis festhält, dass danach eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ für die Begehung „schwerster Straftaten“ bestehe. Insbesondere kann insoweit nicht schlicht auf die Vortaten insgesamt abgestellt werden, weil unter diesen zwar unzweifelhaft auch solche „schwerster“ Art sind, aber nicht im Einzelnen bestimmt wird, welche Vortaten dem Bereich der „schwersten“ Delikte zuzuordnen sind und welcher Wahrscheinlichkeitsgrad für eine Begehung gerade dieser allein zu berücksichtigenden Taten besteht.

  1. b) Der vorangehende Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Februar 2012 verstößt ebenfalls gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil dort gleichermaßen nicht der verfassungsrechtlich erforderliche Maßstab zugrunde gelegt wird. Vielmehr wird zum einen qualitativ auf (nur) „gravierende“ Gewalttaten abgestellt und zum anderen ausdrücklich die Übertragbarkeit des strengen Maßstabes zur Vertrauensschutzbelange berührenden Sicherungsverwahrung abgelehnt.

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