BGH: Vorsorgevollmacht macht gerichtliche Genehmigung für freiheitsentziehende Maßnahmen nicht entbehrlich
Eine freiheitsentziehende Maßnahme, die den Betroffenen in seiner körperlichen Bewegungsfreiheit einschränkt, bedarf grundsätzlich einer gerichtlichen Genehmigung. Eine rechtsgeschäftliche Erklärung wie z.B. eine Vollmacht genügt dagegen nicht, diese Genehmigung zu ersetzen,
Beschluss des BGH vom 27.06.2012, Az.: XII ZB 24/12
Eine an Alzheimer erkrankte 90-jährige Bewohnerin eines Pflegeheims hatte ihren Kindern vor zwölf Jahren eine notariell beglaubigte General- und Vorsorgevollmacht erstellt und ihnen auf diesem Weg die Vertretung „in allen persönlichen Angelegenheiten, auch die Gesundheit betreffend“, soweit gesetzlich zulässig, übertragen. Mit umfasst war auch die „Befugnis zu Unterbringungsmaßnahmen im Sinne von § 1906 BGB, insbesondere zu einer Unterbringung, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist“. In Ausübung dieser Vollmacht hat der Sohn der Betroffenen die Anbringung von Bettgittern sowie tagsüber die Fixierung mittels eines Beckengurtes im Rollstuhl genehmigt, nachdem die Betroffene mehrfach aus ihrem Rollstuhl aufgestanden und gestürzt war und sich u.a. einen Kieferbruch zugezogen hatte.
Auf Anregung des Sohns hat das Betreuungsgericht die Einwilligung befristet genehmigt. Dagegen hat der Sohn Beschwerde eingelegt. Er rügt, dass eine betreuungsrechtliche Genehmigung der Einwilligung entbehrlich sei, da eine umfassend erteilte Vollmacht vorläge. Die Durchführung eines mit Kosten verbundenen Genehmigungsverfahrens würde dagegen das grundrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen verletzen.
Der BGH hat nunmehr der Rechtsbeschwerde des Sohns der Betroffenen nicht stattgegeben. Die Unterbringung eines Betreuten, die mit der Entziehung der Freiheit verbunden ist, bedarf gemäß § 1906 BGB grundsätzlich einer richterlichen Genehmigung. Entsprechendes gilt gemäß § 1906 Absatz 4 BGB, wenn ein Bewohner einer Einrichtung durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll. Diese Regelung schützt die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit. Das Anbringen von Bettgittern und die Fixierung mittels Beckengurt im vorliegenden Fall stellen freiheitsentziehende Maßnahmen in diesem Sinne dar, da die Betroffene in ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, zumal sie zu willensgesteuerten Aufenthaltsveränderungen in der Lage wäre. Nach Angaben des Pflegepersonals ist sie noch fähig, selbständig aus dem Bett oder dem Stuhl aufzustehen.
Wenn die Einwilligung in freiheitsentziehende Maßnahmen unter ausdrücklicher Nennung der Maßnahmen schriftlich erteilt wurde, ist die Durchführung zwar zulässig, sie bedarf aber dennoch grundsätzlich gemäß § 1906 Abs. 5 BGB der zusätzlichen Genehmigung des Betreuungsgerichts. Auf diese gerichtliche Überprüfung der durch den Bevollmächtigten erteilten Einwilligung kann der Betroffene nicht vorgreifend verzichten. Dieser Genehmigungsvorbehalt dient dem Schutz des Betroffenen. Das Betreuungsgericht hat daher zu überprüfen, ob die Vorsorgevollmacht rechtswirksam erteilt wurde, ob sie die Einwilligung in freiheitsentziehende Maßnahmen umfasst und nicht zwischenzeitlich widerrufen wurde, sowie, ob eine Gefährdungslage nach § 1906 Absatz 1 BGB vorliegt, die ein Inkraftsetzen der Vollmacht auslöst. Damit wird nicht die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen kontrolliert, sondern die gesetzmäßige Handhabung der Vorsorgevollmacht durch den Bevollmächtigten. Es soll sichergestellt werden, dass die Vorsorgevollmacht im Sinne des Betroffenen ausgeübt wird. Diese Beschränkung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da Art. 2 Absatz 1 Grundgesetz das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht schrankenlos gewährleistet, sondern nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. Diese sieht ein Genehmigungsverfahren nach § 1906 Absatz 2 BGB zwingend vor. Vor dem Hintergrund der Tragweite einer freiheitsentziehenden Maßnahme stehe die Verhältnismäßigkeit außer Frage.