BGH, Urteil v. 28.4.2005 – III ZR 399/04

Der Kl. steht wegen des Unfalls v. 27. 6. 2001 kein ….  Schadensersatzanspruch der verletzten Heimbewohnerin gegen die Bekl. zu.

Allerdings erwuchsen der bekl. Heimträgerin aus den jeweiligen Heimverträgen Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Heimbewohner. Ebenso bestand eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutze der Bewohner vor Schädigungen, die diesen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohten (OLG Koblenz, FamRZ 2002, 1359 [m. Anm. Bienwald, S. 1361] = NJW-RR 2002, 867, 868). Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten war daher geeignet, sowohl einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Heimvertrages als auch einen damit konkurrierenden deliktischen Anspruch aus §§ 823, 831 BGB zu begründen.

Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind (OLG München, VersR 2004, 618, 619; LG Essen, VersR 2000, 893). Maßstab müssen das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein (OLG Koblenz, a. a. O.). Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (vgl. nunmehr § 2 I Nr. 1 und 2 HeimG i. d. F. vom 5. 11. 2001, BGBl I 2970).

Wie das OLG Koblenz (a. a. O.) zutreffend ausführt, kann nicht generell, sondern nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden, welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen. Im vorliegenden Fall ist der Unfallhergang im Einzelnen nicht mehr aufklärbar. Das KG hat es mit Recht abgelehnt, der Kl. Beweiserleichterungen i. S. einer Beweislastumkehr zugute kommen zu lassen. Allein aus dem Umstand, dass die Heimbewohnerin im Bereich des Pflegeheims der Bekl. gestürzt ist und sich dabei verletzt hat, kann nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals der Bekl. geschlossen werden. Darlegungs- und beweispflichtig ist vielmehr insoweit die Kl. als Anspruchstellerin; Gegenteiliges lässt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des BGH v. 18. 12. 1990 (VI ZR 169/90 -, NJW 1991, 1540 f. = VersR 1991, 310 f.) herleiten.

Der VI. ZS hat dort ausgeführt, die Beweislastumkehr nach § 282 BGB a. F. (nunmehr § 280 I S. 2 BGB) könne nach dem Sinn der Beweisregel auch den Nachweis eines objektiven Pflichtverstoßes des Schuldners umfassen, wenn der Gläubiger im Herrschafts- und Organisationsbereich des Schuldners zu Schaden gekommen sei und die den Schuldner treffenden Vertragspflichten (auch) dahin gegangen seien, den Gläubiger gerade vor einem solchen Schaden zu bewahren. Daraus hat der VI. ZS für den damals zu beurteilenden Sachverhalt die Folgerung gezogen, wenn ein Patient im Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme der ihn betreuenden Krankenschwester aus ungeklärten Gründen das Übergewicht bekomme und stürze, so sei es Sache des Krankenhausträgers, aufzuzeigen und nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Pflegekraft beruhe (ähnlich OLG Dresden, NJW-RR 2000, 761, für die Ursache des Sturzes einer Pflegeheimpatientin, die sich in Begleitung und Betreuung einer Pflegekraft befunden hatte).

Um eine derartige Konstellation ging es hier nicht. Die Bewohnerin befand sich nicht in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte Obhutspflichten auslöste und deren Beherrschung einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut worden war. Vielmehr ging es hier (lediglich) um den normalen, alltäglichen Gefahrenbereich, der grundsätzlich in der eigenverantwortlichen Risikosphäre der Geschädigten verblieb. Vergeblich versucht die Revision, hiergegen einzuwenden, dass bei dieser Betrachtungsweise der Geschädigte um so schlechter dastünde, je weniger man sich um ihn kümmere. Werde er sich selbst überlassen, treffe ihn die Darlegungs- und Beweislast. Sei hingegen eine Pflegeperson anwesend, die dem Betroffenen helfe und unmittelbar Einfluss nehmen könne, solle sich der Träger des Pflegeheims entlasten müssen. Das könne nicht richtig sein. Dabei wird, worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist, verkannt, dass es bei der Beweislastumkehr jeweils nur darum gehen kann, ob in der konkreten Unfallsituation eine Sicherungspflicht bestanden hatte, die gerade die Schädigung ausschließen sollte. Dementsprechend wird für vergleichbare Unfallhergänge auch in der Rechtsprechung der OLGe eine Beweislastumkehrung abgelehnt (OLG Hamm, NJW-RR 2003, 30, 31; OLG München, a. a. O.).

Die Revision lastet der Bekl. insbesondere an, sie habe es versäumt, die Bewohnerin im Bett zu fixieren, mindestens aber die Bettgitter hochzufahren. Dieser Vorwurf ist indessen unbegründet.

a) In rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung hat das KG festgestellt, dass das Pflegepersonal diese Sicherungsmaßnahmen für entbehrlich halten durfte. Insbesondere hat dabei der Umstand Gewicht, dass der von der Kl. selbst nach dem bis dahin letzten Sturz der Bewohnerin (Januar 1998) beauftragte ärztliche Gutachter zwar schwere Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates diagnostiziert hatte (Liegen, Sitzen, Stehen mit Hilfe, Gehen mit Hilfe und Gehstütze, sehr unsicher, kleinschrittig), aber gleichwohl besondere Sicherungsmaßnahmen beim Liegen im Bett nicht in Erwägung gezogen hatte. Das OLG Koblenz (a. a. O.), dem sich das KG angeschlossen hat, weist nicht ohne Grund darauf hin, dass dasjenige, was sich dem medizinischen Dienst der im Schadensfall eintrittspflichtigen Krankenkasse an Sicherungsmaßnahmen nicht aufdrängt, sich bei unverändertem Befund auch der Leitung eines Altenheims nicht aufdrängen muss. Dies gilt trotz des von der Revision – an sich zutreffend – hervorgehobenen Umstandes, dass das Gutachten der Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der Zuordnung zu der entsprechenden Pflegestufe diente. Dieser beschränkte Zweck des Gutachtens änderte nichts daran, dass dort auch Vorschläge zur Versorgung in der stationären Pflegeeinrichtung sowie zur Ausstattung mit Pflegehilfsmitteln vorgesehen waren und derartige Empfehlungen auch – in anderen Bereichen – tatsächlich erteilt wurden. Dass aus der Sicht des Pflegepersonals keine besonderen weitergehenden Maßnahmen ergriffen zu werden brauchten, wird indiziell dadurch bestätigt, dass in der Folgezeit, nach Erstattung des Gutachtens, die Bewohnerin über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren sturzfrei geblieben war.
b) Hinzu kommt Folgendes: Jene Sicherungsmaßnahmen hätten, da sie auch nach der Einschätzung der Kl. nicht durch eine konkrete, einzelfallbezogene Gefahrensituation gefordert wurden, nur abstrakt-generalisierend, d. h. auf Dauer, getroffen werden müssen, um die allgemeine Gefahr eines Sturzes zu bannen. Damit aber hätten sie den Charakter von Maßnahmen erhalten, die der – unter Betreuung stehenden – Bewohnerin über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen und deshalb der Genehmigung durch das VormG bedurft hätten (§ 1906 IV BGB). Die Bekl. hatte indessen aus den vorgenannten Gründen keinen hinreichenden Anlass, von sich aus auf eine derartige Entscheidung des VormG hinzuwirken.

In rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung hat das KG eine schuldhafte Pflichtverletzung auch nicht darin erblickt, dass die Mitarbeiter der Bekl. es unterlassen hatten, der Bewohnerin Hüftschutzhosen (Protektorhosen) anzulegen, durch die die Gefahr eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre. Die Kl. selbst hatte erstmals in ihrer Berufungserwiderung eher beiläufig darauf hingewiesen, dass die Bewohnerin durch Tragen von Hüftprotektoren vor den hier eingetretenen Folgen eines Sturzes hätte bewahrt werden können. Entgegen der Auffassung der Revision durfte das KG davon ausgehen, dass dieses Vorbringen nicht hinreichend substantiiert war. Weder hatte die Kl. konkret vorgetragen, noch unter Beweis gestellt, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit Verletzungen, wie sie die Bewohnerin erlitten hatte, durch das Tragen dieser Schutzvorrichtungen zu verhindern gewesen wären. Die weitere Feststellung des KG, dass das Tragen von Protektoren die Gefahr des Wundliegens erhöht, wird von der Revision nicht angegriffen.

Zu Unrecht macht die Revision weiter geltend, die Bekl. habe es versäumt, dafür Sorge zu tragen, dass der Bewohnerin beim Aufstehen Hilfe zuteil wurde. Dieser Pflicht war die Bekl. vielmehr hinreichend dadurch nachgekommen, dass sie in Reichweite der Bewohnerin eine Klingel bereitgestellt hatte, mit der diese im Bedarfsfall Hilfe hätte herbeirufen können. Das KG weist ferner zutreffend darauf hin, es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Bewohnerin beim Aufstehen stets der Hilfe bedurft hätte. Die Forderung, der Bewohnerin jedes Mal beim Aufstehen (unaufgefordert) Hilfe zu leisten, würde auf eine lückenlose Überwachung durch die Mitarbeiter des Pflegeheims hinauslaufen. Dies würde über das einem Pflegeheim wirtschaftlich Zumutbare hinausgehen und zudem auch den Interessen der Heimbewohner an der Wahrung ihrer Privatsphäre widersprechen.

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