BGH, Beschluss vom 08.07.2015, XII ZB 600/14

Die Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer zwangsweisen Heilbehandlung. Die Betroffene steht unter Betreuung.

Auf Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung genehmigt.

Auf der Grundlage einer Begutachtung im Rahmen des Betreuungsverfahrens  und nach Einholung eines ärztlichen Zeugnisses „zum Antrag einer Zwangsmedikation“ sowie der Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht die zwangsweise Verabreichung eines in dem Beschluss genau bezeichneten Medikaments in Depotform für einen Zeitraum von sechs Wochen genehmigt und einen Verfahrenspfleger bestellt.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen.

Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene die Feststellung, dass die Beschlüsse von Amts- und Landgericht sie in ihren Rechten verletzt haben.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache.

Nachdem es sich bei der angefochtenen Entscheidung nicht um eine einstweilige Anordnung handelt, steht § 70 Abs. 4 FamFG der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht entgegen.Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht zur Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in die ärztliche Zwangsbehandlung haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 – XII ZB 330/13 – FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN) festzustellen ist.

Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Instanzgerichte nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Notwendigkeit der Maßnahme hätten entscheiden dürfen.

Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen. Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen, damit dieser gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO Gebrauch machen kann.

Ferner hat der Sachverständige den Betroffenen gemäß § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben. Schließlich muss das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erstattet werden, wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs angezeigt erscheint. Jedenfalls aber muss das Gutachten namentlich Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10 – FamRZ 2010, 1726 Rn. 18 ff. mwN). Danach hat das Amtsgericht auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage entschieden. Das im Betreuungsverfahren eingeholte Gutachten, auf welches das Amtsgericht unter anderem seine Entscheidung stützt, verhält sich zur Notwendigkeit einer zwangsweisen Behandlung der Betroffenen mit Neuroleptika nicht. Das ärztliche Attest der Stationsärztin vom 22. September 2014, das vom Amtsgericht ebenfalls zur Begründung herangezogen worden ist, setzt sich zwar inhaltlich mit der Erforderlichkeit einer medikamentösen Behandlung der Betroffenen auch gegen deren Willen auseinander. Dies genügt jedoch den Anforderungen, die § 321 Abs.1 FamFG an das zwingend einzuholende Sachverständigengutachten stellt, nicht.

Die Stationsärztin wurde nicht zur Sachverständigen bestellt, sondern nur um ein entsprechendes ärztliches Attest gebeten. Sie ist daher auch nicht als gerichtlich bestellte Sachverständige gegenüber der Betroffenen aufgetreten und es fand vor der Erstellung des ärztlichen Attests auch keine weitere Untersuchung der Betroffenen statt. Die Stationsärztin hat das ärztliche Attest allein aufgrund ihrer eigenen Kenntnisse aus der stationären Behandlung der Betroffenen erstellt. Dieser Mangel wurde auch im Beschwerdeverfahren nicht geheilt.

Hinzu kommt, dass Amts- und Landgericht auch die Regelung in § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG nicht beachtet haben. Danach soll in Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung der zwangsbehandelnde Arzt nicht zum Sachverständigen bestellt werden. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen – etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit – kann das Gericht hiervon abweichen und im Einzelfall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen. In diesem Fall hat das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvollziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 – XII ZB 482/13 – FamRZ 2014, 29 Rn. 9 mwN). Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung ebenfalls nicht. Das Amtsgericht hat die Stationsärztin in der Einrichtung, in der die Betroffene untergebracht ist und die gleichzeitig ihre behandelnde Ärztin ist, mit der Erstattung des ärztlichen Attests beauftragt. Weder das Amts- noch das Landgericht haben in ihren Entscheidungen dargelegt, aus welchen Gründen sie von der Regelung des § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen sind. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Abweichung rechtfertigen könnten.

Die Betroffene ist durch diese Verfahrensmängel in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.

Die Feststellung, dass ein Betroffener durch angefochtene Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 – XII ZB 389/11 – FamRZ 2012, 619 Rn. 27 mwN).

Indem die Gerichte die zwangsweise Behandlung der Betroffenen genehmigt bzw. diese Genehmigung im Beschwerdeverfahren gebilligt haben, ohne das nach § 321 Abs. 1 FamFG zwingend vorgeschriebene Gutachten zur Notwendigkeit der Maßnahme einzuholen, haben sie eine elementare Verfahrensgarantie verletzt, was die Feststellung nach § 62 FamFG rechtfertigt.

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