BGH, Beschluss vom 1.04.2017, XII ZB 600/14
Die Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer zwangsweisen Haarbehandlung. Die Betroffene steht unter Betreuung. Sie wendet sich gegen einen im Krankenhaus gegen ihren natürlichen Willen durchgeführten Kurzhaarschnitt.
Auf Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung genehmigt.
Auf der Grundlage einer Begutachtung im Rahmen des Betreuungsverfahrens und nach Einholung eines Zeugnisses „zum Antrag einer Zwangshaarbehandlung“ sowie der Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht die zwangsweise Haarbehandlung eines in dem Beschluss genau bezeichneten Haareingriffs genehmigt und einen Verfahrenspfleger bestellt.
Dem Beschluss gingen nach Aktenlage mehrere Beratungsgespräche voraus, bei denen der Betroffenen die Notwendigkeit einer entsprechenden Haarbehandlung nahegebracht wurde, was sie jedoch jeweils ablehnte.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene die Feststellung, dass die Beschlüsse von Amts- und Landgericht sie durch den anschließenden Zwangshaarschnitt in ihren Rechten verletzt haben.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangshaarbehandlung gegen den natürlichen Willen einer Person handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache.
Nachdem es sich bei der angefochtenen Entscheidung nicht um eine einstweilige Anordnung handelt, steht § 70 Abs. 4 FamFG der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht entgegen. Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht zur Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in die zwangsweise Haarbehandlung haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 – XII ZB 330/13 – FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN) festzustellen ist.
Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Instanzgerichte nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Notwendigkeit der Maßnahme hätten entscheiden dürfen.
Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Haarbehandlung eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen. Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen, damit dieser gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO Gebrauch nach Rücksprache mit seinem Coiffeur machen kann.
Ferner hat der Sachverständige den Betroffenen gemäß § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zum Haarzustand zu untersuchen oder zum Frisurenwunsch befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben. Schließlich muss das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erstattet werden, wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des haarigen Grundrechtseingriffs gegen den natürlichen Willlen angezeigt erscheint. Jedenfalls aber muss das Gutachten namentlich Art und Ausmaß des bisherigen Haarerscheinungsbildes im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10 – FamRZ 2010, 1726 Rn. 18 ff. mwN). Danach hat das Amtsgericht auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage entschieden. Das im Betreuungsverfahren eingeholte Gutachten, auf welches das Amtsgericht unter anderem seine Entscheidung stützt, verhält sich zur Notwendigkeit eines zwangsweisen Haarschnitts der Betroffenen mit einem Kurzhaarschnitt nicht. Das Attest des Krankenhausfriseurs vom 22. September 2014, das vom Amtsgericht ebenfalls zur Begründung herangezogen worden ist, setzt sich zwar inhaltlich mit der Erforderlichkeit eine s Haarschnitts der Betroffenen auch gegen deren Willen auseinander. Dies genügt jedoch den Anforderungen, die § 321 Abs.1 FamFG an das zwingend einzuholende Sachverständigengutachten stellt, nicht.
Der Krankenhausfriseur wurde auch nicht zum Sachverständigen bestellt, sondern nur um ein entsprechendes Attest gebeten. Er ist daher auch nicht als gerichtlich bestellter Sachverständiger gegenüber der Betroffenen aufgetreten und es fand vor der Erstellung seiner Expertise auch keine weitere Untersuchung der Betroffenen statt. Der Friseur hat seine Bestätigung allein aufgrund seiner eigenen Kenntnisse aus einem früheren Friseurbesuch der Betroffenen erstellt. Dieser Mangel wurde auch im Beschwerdeverfahren nicht geheilt.
Hinzu kommt, dass Amts- und Landgericht auch die Regelung in § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG nicht beachtet haben. Danach soll in Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in einen Zwangshaarschnitt oder bei deren Anordnung der zwangsbehandelnde Friseur nicht zum Sachverständigen bestellt werden. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen – etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit – kann das Gericht hiervon abweichen und im Einzelfall auch den agierenden Krankenhausfriseur zum Gutachter bestellen. In diesem Fall hat das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvollziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 – XII ZB 482/13 – FamRZ 2014, 29 Rn. 9 mwN). Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung ebenfalls nicht. Das Amtsgericht hat den Friseur in der Einrichtung, in der die Betroffene untergebracht ist und der gleichzeitig ihre Friseur während Krankenhausaufenthalten ist, mit der Erstattung der erforderlichen Stellungnahme beauftragt. Weder das Amts- noch das Landgericht haben in ihren Entscheidungen dargelegt, aus welchen Gründen sie von der Regelung des § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen sind. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Abweichung rechtfertigen könnten.
Die Betroffene ist durch diese Verfahrensmängel in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG auf einen selbstgewählten Haarschnitt verletzt worden.
Die Feststellung, dass ein Betroffener durch angefochtene Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 – XII ZB 389/11 – FamRZ 2012, 619 Rn. 27 mwN).
Indem die Gerichte den zwangsweisen Haarschnitt der Betroffenen genehmigt bzw. diese Genehmigung im Beschwerdeverfahren gebilligt haben, ohne das nach § 321 Abs. 1 FamFG zwingend vorgeschriebene Gutachten zur Notwendigkeit der Maßnahme einzuholen, haben sie eine elementare Verfahrensgarantie verletzt, was die Feststellung nach § 62 FamFG rechtfertigt.