AG Fulda, Beschluss vom 30.03.2016, 88 XVII 364 / 15
- Die Annahme einer lediglich abstrakten Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schaden rechtfertigt keine Genehmigung einer Unterbringung oder unterbringungsähnliche Maßnahme.
- Die Genehmigung einer sog. „sensorgesteuerten Weglaufsperre“ ist generell dann unverhältnismäßig, wenn weniger einschneidende Mittel, wie z.B. der Einsatz einer Personenortungsanlage mittels einer GPS-Überwachung, nicht hinreichend erprobt wurden.
- Bei dem Einsatz der Personenortungsanlage ist zu unterscheiden, ob sie nur der Ortung des Betroffenen oder vielmehr als „Hilfsmittel“ des Pflegepersonals, den Betroffenen am Verlassen der Einrichtung zu hindern dient. Lediglich im zweiten Fall stellt die Personenortungsanlage eine genehmigungsbedürftige freiheitsentziehende Maßnahme dar.
Die Betreuerin hat Antrag auf gerichtliche Genehmigung der sog. „sensorgesteuerten Weglaufsperre“ für 24 Stunden und an 7 Tagen in der Woche gestellt.
Nach Vorstellung der Betreuerin und des Fachpersonals der Einrichtung, soll der Betroffene nach Verfügbarkeit der Betreuerin oder anderer ehrenamtlichen Personen die Einrichtung nur in deren Begleitung verlassen dürfen.
Der Antrag der Betreuerin war zurückzuweisen.
Der Antrag auf gerichtliche Genehmigung der sog. „sensorgesteuerten Weglaufsperre“ für 24 Stunden und an 7 Tagen in der Woche stellt keinen Antrag auf Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme iSd § 1906 Abs. 4 BGB (mehr) dar, sondern vielmehr einen Antrag auf Genehmigung einer Unterbringung gem. § 1906 Abs. 1 BGB. Eine freiheitsentziehende Unterbringung im Sinn des § 1906 Abs. 1 BGB ist nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dann gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird. Die Vorschrift geht von einem engen Begriff der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung aus und erfasst nur solche Maßnahmen, die die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen nicht nur kurzfristig auf einen bestimmten räumlichen Lebensbereich begrenzen (so BGH, Beschluss vom 07. Januar 2015 – XII ZB 395/14 -, Rn. 12, juris mwN). Gemessen an dieser Definition hat der Bundesgerichtshof im Ergebnis in der eben zitierten Entscheidung eine Unterbringung bei einem Freiheitsentzug von höchstens 30 Minuten verneint, da es sich hierbei „nicht um eine Zeitspanne, die aufgrund § 1906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB eine Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich“ mache, handele (BGH, Beschluss vom 07. Januar 2015 – XII ZB 395/14 -, Rn. 13, juris). Ob dies auch für einen längeren Freiheitsentzug – beispielsweise zur Nachtzeit – ebenfalls gilt, wurde vom BGH offen gelassen und kann auch hier offen gelassen werden. Jedenfalls stellt die dauerhafte Versperrung der Ausgangstür mittels der sensorgesteuerten Weglaufsperre eine Unterbringung dar, da der Betroffene zur keiner Zeit ohne einer gesonderten Öffnung der Tür durch das Pflegepersonal die Einrichtung verlassen kann.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung liegen nicht vor.
Die Genehmigung zur geschlossenen Unterbringung darf gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nur dann erteilt werden, wenn sie dem Wohl des Betroffenen dient, weil
- aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder
- eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die die Unterbringung nicht durchgeführt werden kann und der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Das vom Gericht eingeholte Gutachten hat bei dem Betroffenen Demenz und koronale Herzerkrankung diagnostiziert. Aufgrund dieser Erkrankung hat das Gutachten auch Orientierungsdefizite sowie reduzierte Merk- und Gedächtnisfähigkeiten festgestellt. Ebenfalls ist der Betroffene nach dem Gutachten krankheitsbedingt nicht in der Lage auf sich adäquat aufmerksam zu machen. … Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Betroffene beim unbegleiteten Verlassen der Einrichtung sich verlaufen kann und alleine nicht in der Lage ist entsprechende Hilfe zu holen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dadurch eine abstrakte Gefahr für die Gesundheit des Betroffenen – insbesondere in der Winterzeit oder bei schlechten Witterungsverhältnissen – entstehen kann. Auch weitere (abstrakte) Gefahren – z.B. aus dem Straßenverkehr rührend – können nicht ausgeschlossen werden. Dies reicht allerdings nicht aus, um den Betroffenen seiner Freiheit zu berauben und nur nach „Verfügbarkeit“ von Begleitpersonen dem Betroffenen das Verlassen der Einrichtung zu ermöglichen.
Zum einen gibt es bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass die abstrakte Gefahr sich bislang konkretisiert hat. So wird beispielsweise berichtet, dass der Betroffene des Öfteren die Einrichtung unbemerkt verlassen habe und zu seiner Schwester nach Hause gegangen sei, dass er sich aber dabei konkreten Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt hatte, konnte nicht festgestellt werden (zum Erfordernis einer konkreten und ernstlichen Gefahr siehe BGH FamRZ 2010, 365).
Des Weiteren wurden bislang alternative Maßnahmen nicht hinreichend erprobt.
Nicht hinreichend erprobt wurde beispielsweise der Einsatz einer Personenortungsanlage mittels einer GPS-Überwachung.
Die Zulässigkeit der Ausstattung der Betreuten mit sog. Sendeanlagen oder Personenortungsanlagen ist in der Rechtsprechung umstritten und bislang nicht höchstrichterlich entschieden. Viele Gerichte erachten die Maßnahme für genehmigungspflichtig i.S.d. § 1906 Abs. 4 BGB, wenn sie der Feststellung des Verlassens eines offenen Heimes dient und entsprechende Maßnahmen auslöst (LG Ulm FamRZ 2009, 544; AG Stuttgart-Bad Cannstadt FamRZ 1997, 704; LG Bielefeld BtPrax 1996, 232). Nach Ansicht des AG Hannover verstößt diese Maßnahme gar gegen die Menschenwürde (BtPrax 1992, 113) und darf daher nicht verwendet werden.
Nach Ansicht des OLG Brandenburg (vgl. FamRZ 2006, 1481) bedarf das Einlegen eines Sendechips in den Schuh der Betroffenen nicht der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht, denn die elektronische Funkortung des Betreuten ist keine freiheitsentziehende Maßnahme i.S. v. § 1906 Abs. 4 BGB.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist bei dem Einsatz der Personenortungsanlage zu unterscheiden, ob sie nur der Ortung des Betroffenen im Bedarfsfall dient bzw. nur als Informationsquelle für das Pflegepersonal, dass der Betroffene im Begriff ist, die Einrichtung zu verlassen, oder vielmehr als „Hilfsmittel“ des Pflegepersonals, den Betroffenen am Verlassen der Einrichtung zu hindern. Lediglich im zweiten Fall stellt die Personenortungsanlage – in Verbindung mit dem Willen des Personals, den Betroffenen mittels einfacher körperlicher Gewalt am Verlassen der Einrichtung zu hindern – eine genehmigungsbedürftige freiheitsentziehende Maßnahme dar. Im vorliegenden Fall würde die Personenortungsanlage dem Pflegepersonal lediglich Aufschluss über den gegenwärtigen Aufenthalt des Betroffenen liefern, damit dieses zu bestimmten Zeiten (z.B. Essenszeiten oder bei bestimmten Witterungsverhältnissen), den Betroffenen finden kann und ihm die freiwillige Rückkehr in die Einrichtung ermöglichen kann.
Auch der Einwand der – mit den Alternativmaßnahmen verbundenen – erheblichen Mehrkosten rechtfertigt keine abweichende Entscheidung. Dem erkennenden Gericht ist durchaus bewusst, dass mit den Alternativmaßnahmen erhebliche Mehrkosten verbunden sind und ggf. aufgrund der Alternativmaßnahmen zusätzliches Personal durch die Einrichtung eingestellt werden muss. Die durchaus nachvollziehbaren und berechtigten finanziellen Sorgen – sei es der Einrichtung, sei es des Betroffenen selbst oder seines Versicherungsträgers – rechtfertigen nicht eine solch schwerwiegende Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten (Fortbewegungs-) Freiheit des Betroffenen. Selbst das Erfordernis einer sog. Eins-zu-eins-Betreuung dürfte im vorliegenden Fall eine zumutbare Alternative zu einem derart einschneidenden Eingriff in die (Fortbewegungs-) Freiheit des Betroffenen darstellen.
Im Rahmen der mündlichen Anhörung berichteten die Fachkräfte der Einrichtung, dass der Betroffene einen erheblichen Bewegungsdrang habe und sehr traurig sei, wenn ihm der Ausgang verwehrt werde. Ehrenamtliche Begleitpersonen stehen nicht in der benötigten Form zur Verfügung und die Betreuerin selbst könne nach eigenen Angaben nur zwei bis drei Mal in der Woche den Betroffenen begleiten, dabei sei er der glücklichste Mensch, wenn er mit ihr rausgehe.
Damit stellt der beabsichtigte Freiheitsentzug im konkreten Fall einen erheblichen Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit des Betroffenen dar, der nicht mit dem abstrakten Risiko für das Leib und Leben des Betroffenen gerechtfertigt werden kann, zumal Alternativmaßnahmen bislang nicht hinreichend erprobt worden sind.