Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen, Az.: B XVII 285/15, Beschluss vom 29.12.2016
- Die Verabreichung eines Medikaments stellt eine freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB dar, wenn die Betroffene durch sie gezielt in seiner körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden soll.
- Während die mechanische Freiheitsentziehung sich nur auf die materiellen Freiheitsgarantien des Art. 2 Abs. 2 GG allein bezieht, wird die medikamentöse Freiheitsentziehung in doppelter Hinsicht grundrechtsrelevant
- Eine freiheitsentziehende Zielsetzung liegt nicht vor, wenn die Unterbindung des Bewegungsbedürfnisses eine Nebenwirkung eines angstdämpfenden therapeutischen Zweckes darstellt, weil ein subjektives Leiden der Betroffenen gezielt unterbunden werden soll. Bei der vorliegenden Behandlung von Symptomen der Ängstlichkeit steht der subjektive Leidensdruck der Betroffenen im Vordergrund, eine Ruhigstellung ist nicht unmittelbar bezweckt, sondern allenfalls eine in Kauf genommene Nebenwirkung.
- Nach § 1904 BGB bedarf der Einsatz konkret keiner Genehmigung, weil keine ausreichenden Anhaltspunkte für begründete Gefahr bestehen, dass die Betreute aufgrund der Maßnahme einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden im Sinne eiens Abhängigkeitssyndroms erleidet.Nach den Klassifikationsschemata des ICD-10 wird die Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms dann gestellt, wenn drei der folgenden Kriterien während des vorangegangenen Jahres gemeinsam erfüllt gewesen sind.
- starkes, oft unüberwindbares Verlangen, die Substanz einzunehmen,
- Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren,
- körperliche Entzugssymptome,
- die benötigte Menge wird immer größer, um die gewünschte Wirkung zu erlangen,
- eine fortschreitende Vernachlässigung anderer Verpflichtungen, Aktivitäten, Vergnügen oder Interessen (das Verlangen nach der Droge wird zum Lebensmittelpunkt),
- ein fortdauernder Gebrauch der Substanz wider besseren Wissens und trotz eintretender schädlicher Folgen.