Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen steht, insbesondere einer psychischen Erkrankung, oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat („Korsakow-Syndrom“).
Die geschlossene Unterbringung zur ausschließlichen Vermeidung einer lebensbedrohenden Selbstgefährdung kann auch dann genehmigt werden, wenn keine gezielte Therapiemöglichkeit besteht. Eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung setzt aber voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann, also krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, seinen Alkoholkonsum selbstverantwortlich zu steuern und einen alsbaldigen Rückfall in lebensbedrohliche Zustände zu vermeiden
BGH, Beschluss vom 25.03.2015, XII ZA 12 / 15
I. Der im Jahre 1952 geborene Betroffene leidet infolge jahrzehntelangen Alkoholkonsums unter einem anamnestischen Syndrom bei Alkoholmissbrauch („Korsakow-Syndrom“), unter psychotischen Störungen und unter alkoholabhängigkeitsbedingten Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Er hatte bereits mehrere Alkoholentzugsdelirien.
Am 18. Februar 2014 wurde er durch den Rettungsdienst in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen, nachdem er Suizidabsichten geäußert und in einer Apotheke Rattengift zu erwerben versucht hatte. Anschließend wurde er dort vorläufig untergebracht.
Am 29. Dezember 2014 hat die Betreuerin die Verlängerung der Unterbringungsgenehmigung beantragt. Das Amtsgericht hat die Genehmigung abgelehnt. Auf Beschwerde hat das Landgericht diese Entscheidung die weitere Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines Therapiezentrums für Suchtkranke bis längstens zum 18. Februar 2016 genehmigt.
Hiergegen möchte der Betroffene die Rechtsbeschwerde führen.
II.
Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden kann. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen steht, insbesondere einer psychischen Erkrankung, oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 – XII ZB 241/11 – FamRZ 2011, 1725 Rn. 11).
Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatlichen Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 – XII ZB 241/11 – FamRZ 2011, 1725 Rn. 12). Die zivilrechtliche Unterbringung ist – wie das Betreuungsrecht insgesamt – ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 – XII ZB 520/14 – juris Rn. 13).
Deshalb kann die geschlossene Unterbringung zur Vermeidung einer lebensbedrohenden Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht. Zwar steht es nach der Verfassung in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden.
Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Gemeinwohl zukommt, darf aber nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Betroffenen bestimmt werden, sich frei zu entschließen. Mithin setzt eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 – XII ZB 241/11 – FamRZ 2011, 1725 Rn. 12).
Das Beschwerdegericht hat in Anwendung dieser Grundsätze rechtsfehlerfrei das Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bejaht.
Das Gericht hat festgestellt, dass der Betroffene an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung leidet. Diese besteht in einer schweren Persönlichkeits- und Verhaltensstörung mit Fehlen der Realitätswahrnehmung, anhaltenden Fehlhandlungen und Störungen der Affektivität, in einer verzögerten psychotischen Störung mit erheblichem Beeinträchtigungswahn sowie in einem anamnestischen Syndrom. Ferner hat das Beschwerdegericht festgestellt, dass der Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, seinen Alkoholkonsum selbstverantwortlich zu steuern und einen alsbaldigen Rückfall in lebensbedrohliche Zustände zu vermeiden.
Das Beschwerdegericht hat zudem berücksichtigt, dass eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Verhinderung einer Selbstschädigung voraussetzt, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Es ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden und danach zu handeln.
Die Unterbringung ist auch verhältnismäßig.
Die Unterbringung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich nach den getroffenen Feststellungen bei dem Betroffenen eine Einsichtsfähigkeit in die Krankheit und damit Behandlungsbedürftigkeit nicht erreichen, sondern allenfalls ein sog. Gewöhnungseffekt (Gewöhnung daran, keinen Alkohol mehr zu trinken) erzielen lassen wird. Denn die Frage der Therapiefähigkeit ist für die hier nicht zur Heilbehandlung, sondern gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zum Selbstschutz erfolgte Unterbringung nicht maßgeblich (Senatsbeschluss vom 17. August 2011 – XII ZB 241/11 – FamRZ 2011, 1725 Rn. 17).
Mildere Maßnahmen als eine geschlossene Unterbringung kommen auf Grundlage der getroffenen Feststellungen hier nicht in Betracht. Der Betroffene würde außerhalb einer Unterbringung umgehend (binnen weniger als einer Woche) alkoholrückfällig werden und innerhalb kurzer Zeit (binnen weiterer vier bis acht Wochen) in ein lebensbedrohliches Delirium tremens fallen, das bei nicht sofort gegebener intensivmedizinischer Behandlung zum Tode führt und in 25 % der vergleichbaren Fälle tatsächlich tödlich verläuft. Darüber hinaus würde er seine Medikamente nicht mehr einnehmen, so dass das Wahnhafte der Erkrankung wieder in den Vordergrund träte. Es drohten dann selbstschädigende Handlungen, wie der zur letzten stationären Aufnahme führende Vorfall (Versuch des Erwerbs von Rattengift nach suizidalen Äußerungen) zeige, sowie eine Chronifizierung der wahnhaften Symptomatik.
Das Beschwerdegericht hat zudem nachvollziehbar und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass bei dieser Sachlage ein Unterbringungszeitraum von einem Jahr gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG erforderlich ist.