Die Betroffene sollte auf Antrag in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses untergebracht werden.
Die Betroffene leidet an einer langjährig bekannten Alkoholabhängigkeit bei Verdacht auf eine Wernicke-Enzephalopathie. Die Betroffene hat auch eine Hypokaliämie, d.h. die Normwerte ihres Kaliumgehaltes im Blut sind deutlich unterschritten.
Sie drängte nach nur kurzer Aufnahme wieder nach Hause. Die Neurologie war der Auffassung, die Betroffene müsste gegen ihren Willen im Krankenhaus bleiben.
Die Betroffene sei nicht krankheitseinsichtig. Sie sei zur Person orientiert, örtlich wechselhaft orientiert, zeitlich teilweise orientiert, situativ kaum orientiert, d.h. sie verstehe nicht, warum sie im Krankenhaus ist.
Gefährlich sei, dass die Betroffene Herzrhythmusstörungen hatte, vermutlich infolge der Hypokaliämie. Es sei wegen der Sehstörung und der Gangunsicherheit dringend eine Diagnostik nötig. Wegen der entgleisten Kaliumwerte und der Herzrhythmusstörungen, aber auch wegen der Gangunsicherheit, hielten die Ärzte es für dringend erforderlich, dass die Betroffene noch im Krankenhaus bleiben sollte. Sie hielten sie für akut gesundheits- oder sogar lebensgefährdet.
In ihrer persönlichen Anhörung hat die Betroffene angegeben, dass sie über eine lange Zeit große Mengen Alkohol konsumiert habe, dass sie die Menge aber schon seit längerem eingeschränkt habe. Ihre Gangunsicherheit führt die Betroffene auf Kreislaufstörungen zurück, die sie auch schon länger und öfter hatte, insbesondere beim schnellen Aufstehen. Dies komme auch durch ihr starkes Rauchen. Eine größere Gewichtsabnahme hat die Betroffene in Abrede gestellt. Sie sei schon immer sehr dünn gewesen.
Des Weiteren hat die Betroffene in ihrer persönlichen Anhörung angegeben, sie wolle nicht im Krankenhaus bleiben. Ihre Ausfallerscheinungen können auch am Rauchen liegen. Sie sei sich des Risikos bewusst, wenn sie auf Entlassung dränge. Sie wisse von den Herzrhythmusstörungen und dass diese lebensgefährlich sein können. Sie wolle dieses Risiko aber eingehen. Auf Nachfrage des Richters hat die Betroffene angegeben, dass sie nicht wirklich erklären könne, dieses Lebensrisiko eingehen zu wollen. Sie fühle sich aber in der Atmosphäre im Krankenhaus unwohl. Sie lehne das Krankenhaus ohnehin ab. „Alles störe sie“. Zuhause fühle sie sich hingegen wohl.
Bei der lediglich sich selbst gefährdenden Betroffenen kommt eine Unterbringung gegen ihren freien Willen nicht in Betracht.
Wegen der körperlichen Erkrankungen der Betroffenen besteht eine Gesundheits- oder sogar Lebensgefahr, wenn die Betroffene entlassen wird. Infolge der entgleisten Kaliumwerte und der neurologischen Ausfallerscheinungen besteht die Gefahr, dass die Betroffene infolge von Herzrhythmusstörungen stirbt oder sich infolge von Ausfallerscheinungen erheblich verletzt.
Zwar sprechen durchaus Anhaltspunkte dafür, dass bei der Entscheidung der Betroffenen, einen längeren Krankenhausaufenthalt abzulehnen, auch Aspekte ihrer Suchterkrankung eine Rolle gespielt haben könnten. Dies kann das Gericht jedoch nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen.
Das Gericht kann die Kausalität aber auch dahinstehen lassen, da eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung gegen den freien Willen der Betroffenen ohnehin nicht in Betracht kommt. Denn die grundrechtlich geschützte Freiheit schließt gerade auch die Freiheit zur Krankheit ein und damit das Recht, eine auf Heilung zielende Behandlung abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt ist (zuletzt BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juli 2015 – 2 BvR 1549/14, 2 BvR 1550/14 bei juris, grundlegend BVerfGE 128, 282; 304 m.w.N.); dies beinhaltet auch die Entscheidung über den Verbleib im Krankenhaus.
Die Betroffene hat hier nach der Überzeugung des Gerichts ihren freien Willen gebildet. Die Betroffene hat sich in vollem Bewusstsein darüber, welches Risiko sie mit einer Entlassung eingeht, dafür entschieden, nicht im Krankenhaus bleiben zu wollen. Damit hat sie von ihrer Entscheidungsfreiheit über die ihrer Disposition unterliegenden Rechtsgüter – über ihre Gesundheit und ihr Leben – Gebrauch gemacht. Es steht dem Gericht nicht zu, die zur freien Willensbildung fähige Betroffene vor sich selbst zu schützen.
Dass die Betroffene in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden, steht für das Gericht außer Zweifel:
Der Begriff des freien Willens beinhaltet die Einsichtsfähigkeit der Betroffenen und deren Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln. Freie Willensbildung ist ausgeschlossen, wenn ein Betroffener nicht im Stande ist, seinen Willen unbeeinflusst von der vorliegenden psychischen Erkrankung zu bilden und danach zu handeln. Hierzu muss ein Betroffener in der Lage sein, seine Situation in ihren wesentlichen Grundzügen zu verstehen und eine Abwägung im Rahmen seines im Laufe des Lebens entwickelten Wertesystems zu treffen. Dazu muss der Betroffene die Folgen der Behandlung und Nichtbehandlung überschauen und evtl. auch erst später eintretende Folgen antizipieren können. Ein Betroffener muss also krankheitseinsichtig sein, d.h. er muss sich der Krankheit bewusst sein und muss deren Folgen im Groben abschätzen können.
Und er muss auch eine Abwägung zwischen den Nachteilen des Krankenhausaufenthaltes, eventuellen Nebenwirkungen der Behandlung und dem Risiko der Nichtbehandlung der Erkrankung vornehmen können. Dabei dürfen weder infolge der psychischen Erkrankung die kognitive Voraussetzungen der Erkenntnis und der Intentionsbildung beeinträchtigt sein, noch die motivationalen Voraussetzungen der Willensbildung verändert sein, indem durch die Erkrankung der Zugang zu Wertvorstellungen verstellt wird oder Wertgefüge oder affektive Grundlagen von Entscheidungsprozessen verformt werden.
Bei der Betroffenen hat aus Sicht des Gerichts eine freie Willensbildung stattgefunden. Dabei mag es bei der Beurteilung der eigenen gesundheitlichen Situation eine gewisse Bagatellisierungstendenz bei der Betroffenen gegeben haben. Gleichwohl ist das Gericht davon überzeugt, dass die Betroffene den Ernst der Situation erkannt hat und die Gefahren hinnehmen möchte, um nicht länger im Krankenhaus zu bleiben. Warum sich die Betroffene so entscheidet, hat für das Gericht außer Betracht zu bleiben. Denn das Gericht ist nicht befugt, seine eigene, als für die Betroffene sinnvoll empfundene Entscheidung an die Stelle des freien Willens der Betroffenen zu setzen. Es gibt jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ablehnung des Krankenhausaufenthalts einer die freie Willensbildung ausschließenden Erkrankung, etwa einer Angststörung oder eines unbeherrschbaren Suchtdrucks, entspricht. Auch eine Beeinträchtigung der motivationalen Voraussetzungen der freien Willensbildung durch die Erkrankung der Betroffenen war für das Gericht nicht erkennbar.
Der Betroffenen ist deshalb die Freiheit zur Krankheit zuzugestehen. Denn diese Freiheit endet nicht einmal dort, wo es um lebensbedrohliche Zustände geht (die hier zwar möglich erscheinen, akut aber nicht vorliegen).
Der Antrag musste also im Ergebnis zurückgewiesen werden.