OLG München, Beschluss vom 27.06.2006, 33 Wx 89 / 06

  1. Auch bei Anordnung oder Genehmigung einer vorläufigen Unterbringung ist – außer bei Gefahr im Verzug – dem Betroffenen bereits vor Erlass des Unterbringungsbeschlusses ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn das vorliegende Gutachten bzw. ärztliche Zeugnis nicht an ihn ausgehändigt werden soll und zudem nach ärztlichen Feststellungen zu erwarten ist, dass eine sachbezogene Anhörung nicht möglich sein wird.
  2. Das Gericht hat bei einer Anordnung nach § 1846 BGB sicherzustellen, dass dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein zumindest vorläufiger Betreuer zur Seite steht.

 

Der die Unterbringung anordnende Beschluss des Amtsgerichts erweist sich bereits deshalb als fehlerhaft, weil ein Pfleger für das Verfahren nicht bereits vor Erlass des Beschlusses, sondern erst mit dessen Erlass bestellt worden ist. Die vorherige Bestellung eines Verfahrenspflegers war gemäß § 70b Abs. 1 Satz 1 FGG zur Wahrung der Rechte des Betroffenen geboten, da sich auf Grund des Gutachtens abzeichnete, dass eine sachbezogene Anhörung nicht werde stattfinden können. Ferner sollte nach Auffassung des Sachverständigen Dr. S. dem Betroffenen das Gutachten nicht ausgehändigt werden; hieran hat sich die Richterin auch gehalten. Bei dieser Sachlage wäre es, um dem Betroffenen in ausreichender Weise rechtliches Gehör zu gewähren, unerlässlich gewesen, bereits vor Erlass des Beschlusses einen Verfahrenspfleger zu bestellen und diesem das Gutachten auszuhändigen. Denn der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör umfasst, dass ihm ein schriftliches Gutachten, das verwertet werden soll, in der Regel rechtzeitig vor der Anhörung in vollem Umfang zur Verfügung gestellt wird (BayObLGZ 2001, 219/220; OLG-Report München 2006, 191 = FamRZ 2006, 729 LS). Soll davon ausnahmsweise aus dringenden medizinischen Gründen abgesehen werden, ist das rechtliche Gehör des Betroffenen nur ausreichend gewahrt, wenn ein Verfahrensbevollmächtigter oder -pfleger das Gutachten rechtzeitig schriftlich erhalten hat und vor Erlass der Entscheidung hierzu Stellung nehmen kann (vgl. BayObLG FamRZ 1993, 998).

 

Ordnet das Vormundschaftsgericht wegen der Dringlichkeit des Falles die Unterbringung ohne Beteiligung eines Betreuers an, hat es gleichzeitig mit der Anordnung dafür Sorge zu tragen, dass unverzüglich ein Betreuer bestellt wird, der die Interessen des Betreuten wahrnehmen und die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB in eigener Verantwortung treffen kann. Regelmäßig ist zeitgleich mit der Anordnung der Unterbringung ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers einzuleiten. Bei Anordnungen außerhalb des Gerichtsgebäudes an Ort und Stelle oder außerhalb der normalen Dienstzeit muss durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Einleitung des Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers unverzüglich – regelmäßig am nächsten Arbeitstag – nachgeholt wird. Das Gericht muss zudem sicherstellen, dass dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein Betreuer zur Seite steht. Kann innerhalb dieser Zeitspanne ein Betreuer nicht bestellt werden, etwa wegen eines einzuholenden Sachverständigengutachtens, ist es erforderlich, gleichzeitig mit der Einleitung eines Verfahrens Maßnahmen zur Bestellung eines vorläufigen Betreuers nach § 69f FGG zu treffen (BGH aaO; BayObLG aaO). Wegen der gegenüber einem vorläufigen Betreuer geringeren Befugnisse des Verfahrenspflegers reicht die Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht aus.

Unterlässt das Gericht solche Maßnahmen, ist die Anordnung der Unterbringung unzulässig (BGH aaO; BayObLG aaO).

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