AG Frankfurt/M. – Beschluss v. 26.08.1988 – 40 VIII B 27574

Eine  Fesselung durch Bauchgurt und Betteingitterung in Altersheimen bei chronischem Personalmangel ist unverhältnismäßig

AG Frankfurt/M. – Beschluss v. 26.08.1988 – 40 VIII B 27574

 

Bei der Eingitterung des Bettes der Betr. und deren Fesselung durch Bauchgurt – sowohl im Bett als auch tagsüber im Sitzen – handelt es sich jeweils um freiheitsentziehende Maßnahmen. Anders als das AmtsG Recklinghausen … sieht das erkennende Gericht die tatbestandlichen Voraussetzungen …   auch schon durch die bloße Eingitterung des Bettes  als erfüllt an.

Der Ansicht des AmtsG Recklinghausen, die Anbringung des Bettgitters stelle im Hinblick auf das zeitliche Moment (nur nachts – nur bei Bettruhe) und den dem Pflegling verbleibenden Freiraum lediglich eine freiheitsbeschränkende Maßnahme dar, vermag das Gericht nicht zu folgen. Bei Anhörung muß das Gericht immer wieder feststellen, daß im Bett eingegitterte Heimbewohner diese Situation als menschenunwürdig und emotional äußerst belastend erleben. Aussagen Betroffener, sie fühlten sich „wie ein Pferd im Stall“, sie müßten „sich nachts die Beine zusammenpetzen“, weil das Pflegepersonal zu spät zu Hilfe komme, wenn sie nachts die Toilette aufsuchen wollten, geben beredte Auskunft sowohl über die Situation des Eingegitterten als auch den Personalnotstand – insbesondere nachts – der Heime.

Ist danach schon die „bloße“ Betteingitterung als Freiheitsentzug i. S. des Art. 104 II GG, des § 1631 b BGB einzustufen, gilt dies erst recht für die Fesselung durch Bauchgurt, durch die die körperliche Bewegungsfreiheit auf das Äußerste begrenzt wird. In Anbetracht der chronischen Personalnot der Alten- und Pflegeheime kann auch die zeitliche Begrenztheit solcher freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht befriedigend sichergestellt werden, die nach Ansicht des AmtsG Recklinghausen die Fesselung durch Bauchgurt nur zu einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme macht, die nicht unter § 1631 b BGB falle.

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Die Unverhältnismäßigkeit der jetzt schon praktizierenden freiheitsentziehenden Maßnahmen ergibt sich daraus, daß die Betr. wegen ihres Dranges zum Weglaufen aus dem Heim nach den dem Gericht konkret bekannten Verhältnissen der Einrichtung nahezu 24 Stunden täglich durch Bauchgurt gefesselt und im Bett eingegittert werden müßte, um vor den Gefahren des Straßenverkehrs geschützt zu werden.

Dem Gericht ist aus zahllosen Anhörungen im W.-Stift bekannt, daß in dieser Einrichtung – wie in den meisten Alten- und Pflegeheimen in F. – ein derart eklatanter Mangel an Pflegepersonal herrscht, daß eine auch nur zeitweilige und entsprechend den drohenden Gefahren ausreichend regelmäßige Betreuung und Beaufsichtigung der Betr. unmöglich ist.

In der Pflegschaftssache …  hat die Heimleitung dem Gericht mitgeteilt, daß selbst eine Auflage, die Betr. alle drei Stunden für jeweils eine Stunde von dem Bauchgurt zu befreien, aus Personalgründen undurchführbar sei. …..

Unter diesen Umständen sieht sich das Gericht nicht in der Lage, die Fesselung durch Bauchgurt und Eingitterung des Bettes unter der Auflage zu genehmigen, daß diese freiheitsentziehenden Maßnahmen nur zeitweise (ausnahmsweise) und nur zur Abwendung einer schwerwiegenden Gefahr für Leib und Leben der Betr. unter ständiger fachpflegerischer Beobachtung auf ärztliche Einzelanweisung erfolgen dürfen. Denn es ist von vornherein absehbar, daß das Heim diesen Auflagen nicht wird nachkommen können. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Heim seinen Personalmangel zu vertreten, insbesondere eine entsprechende Umstrukturierung des Personaleinsatzes unterlassen hat; diesen Fragestellungen wird sich die Heimaufsicht annehmen müssen. Jedoch ist die Fixierung/Eingitterung von vornherein unverhältnismäßig, weil nicht das denkbar mildeste geeignete Mittel, die Selbstgefährdung der Betr. zu beseitigen.

Bei dieser Einschätzung geht das Gericht davon aus, dass eine Fesselung (Fixierung) von psychisch kranken alten Menschen durch Bauchgurt aus geronto-psychiatrischer Sicht in keinem Falle eine angemessene, geeignete und zumutbare Behandlung (Heil- oder Pflegemaßnahme) darstellt. Sie ist vielmehr lediglich eine ultima ratio, wenn alle sonstigen therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, und dies nur vor dem Hintergrund, daß nicht genügend qualifiziertes Pflegepersonal zur Verfügung steht. Neben einer sachgerechten medikamentösen Behandlung kommt es aus ärztlicher Sicht, der sich das Gericht anschließt, sehr wesentlich darauf an, dem unruhigen Patienten ein motorisches Ausagieren zu ermöglichen. Das kann über eine gezielte Beschäftigungstherapie ermöglicht werden, aber auch durch Einbinden des Patienten in den allgemeinen Tagesablauf des Heimes. Im Übrigen muss den Patienten die Möglichkeit gegeben werden, durch Spaziergänge – ggf. in Begleitung – den natürlichen Bewegungstrieb auszuagieren. Nächtliche Unruhe ist in aller Regel nicht die Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmusses, sondern im allgemeinen die Reaktion auf ermüdende Langeweile am Tage. Dass demgegenüber Fixierungen aus ärztlicher Sicht für den Patienten immer in mehr oder weniger starkem Maße schädlich sind, hat der Arzt für Psychiatrie-Psychotherapie Dr. med. J. L., ärztlicher Direktor des niedersächsischen Landeskrankenhauses, in einem psychiatrischen Gutachten v. 11. 5. 1988 für das AmtsG Hamburg ausdrücklich klargestellt …

Da auf Grund der Personalsituation des W.-Stifts Betreuungsmaßnahmen nicht möglich sind, die eine Fesselung durch Bauchgurt/Eingitterung des Bettes nur in Ausnahmesituationen unter ständiger fachpflegerischer Beobachtung und nach ärztlicher Einzelanweisung erforderlich machen würden, kommt die Genehmigung einer notwendigerweise dauerhaften Fesselung durch Bauchgurt/Eingitterung des Bettes der Betr. aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht in Betracht.

Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit wäre für die Betr. eine geschlossene Unterbringung weniger in die körperliche Fortbewegungsfreiheit einschneidend, da sie dann wenigstens nicht 24 Stunden am Tag durch Bauchgurt gefesselt und auf das Äußerste in der Bewegungsfreiheit beschränkt wäre. Vielmehr könnte sie sich auf den – zugegebenermaßen wenigen Quadratmetern der geschlossenen Abteilung – frei bewegen.

Da der Pfleger jedoch einen Antrag auf entsprechende geschlossene Unterbringung nicht gestellt hat, sieht sich das Gericht daran gehindert, einer solchen Maßnahme zuzustimmen.

Dass der Bauchgurt aus Sicht der Betr. kein verhältnismäßig mildes Mittel ist, ist leicht nachvollziehbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der bloße Gang auf die Toilette von dem hilfreichen Hinzukommen eines Pflegers abhängig ist. Angesichts des chronischen Personalmangels sind die konkreten Folgen für den Betr. leicht nachvollziehbar.

 

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